⭕ Am-Ball-Bleiben - Issue #88 - Reading Digest von André Cramer
Hallo zusammen! Willkommen zur neuen Ausgabe meines Newsletters! Hier sind die Highlights meiner Lieblingsthemen der letzten beiden Wochen. Vielleicht ist was für Euch dabei → 📰 📻👂👁️
⊗ über die Aussichten von veganem Fleisch ⊗ über neue, tolle Fähigkeiten von KI-Algorithmen ⊗ über Apple AirTags und das Überwachungspotential für Menschen ⊗ ob man Food-Delivery Apps löschen sollte ⊗ über den Russland-Ukraine Krieg und meine besten Leseempfehlungen ⊗ und noch viel, viel, viel mehr!
Der Newsletter wurde Dir weitergeleitet?
➡️ Dann kannst Du Dich jederzeit hier anmelden.
Dir gefällt mein Newsletter richtig gut?
➡️ Dann hilf bitte bei “spread the word” und leite ihn gerne an Freund*innen, Bekannte, Kolleg*innen weiter. 📤 Ich wäre Dir sehr dankbar! 👍😊
Abteilung "Technologie & Innovation"
Beyond Meat: Zu heiß gebraten — www.zeit.de
Warum ich das wichtig finde?
Das ist ein interessantes - und ernüchterndes - Update aus der Welt der Fleischersatzprodukte. Einerseits finde ich das Thema total spannend und bin der festen Überzeugung, dass wir als Gesellschaft hier dran bleiben müssen (denn aus so vielen Gründen sollten wir die Art und Weise, wie wir Fleisch produzieren, bzw. welches Fleisch wir konsumieren, ändern), andererseits geht es hier in dieser Geschichte auch um Silicon Valley Narrative und die Nachteile von "heißer-Luft-Kommunikation". Wie sehr schaden blumige Versprechungen, die nicht eingehalten werden können, der Entwicklung von Fleisch, welches mit Hilfe von alternativen Technologien hergestellt wird?
Die schlechten Zahlen bei Beyond Meat haben eine Reihe von Ursachen, zu denen auch pandemiebedingte Schwierigkeiten in der Logistik und beim Marketing gehören sowie die wachsende Konkurrenz durch Nachmacher-Produkte etablierter Nahrungsmittelkonzerne. Doch es war auch ganz klar, dass die Verbraucher irgendwann enttäuscht sein mussten. Wenn man der Selbstdarstellung der Hersteller glaubte, wurden da nicht einfach nur gut gemachte Bratling-Imitate verkauft, nein: Es ging gleich um die Rettung der Welt. Beyond Meat kündigte eine "bessere Zukunft unserer Ernährung" an. Der Rivale Impossible Foods behauptete, pflanzliche Ersatzkost trage mehr zur Planetenrettung bei als Solarmodule, Elektroautos und Papptrinkhalme. [...]
Dahinter steckt immer dieselbe Idee: dass man ohne wirklichen Verzicht, ja sogar durch zusätzlichen Konsum die Welt retten könne. Doch irgendwann wird genauer hingeschaut, und die Ernüchterung folgt.
Es ist leider nicht immer alles "Gold, was glänzt":
Beyond Meat belegt seinen Weltretter-Anspruch unter anderem mit einer – vom Unternehmen in Auftrag gegebenen – Studie der University of Michigan. Danach werden bei der Herstellung von Burgern aus Erbsenprotein 90 Prozent weniger Treibhausgase freigesetzt als bei Burgern aus Rinderhack. Doch Nachhaltigkeitsexperten bemängeln, dass bei vielen Ersatzfleischfirmen wichtige Angaben zu den Umwelteffekten der Lieferkette fehlten, etwa zur Emission von Treibhausgasen, zum Wasserverbrauch oder der potenziellen Zerstörung von Regenwäldern. Die Gewinnung von Zutaten wie Soja und Kokosöl steht oft im Zusammenhang mit der Rodung von Regenwäldern.
Diese Geschichte trägt (leider) noch nicht durch. Ich wünsche mir allerdings sehr, dass das noch was wird. Auch wenn es ein weiter Weg ist. Hier geht es zwar um "Laborfleisch" (das ist nicht das, was z.B. Beyond Meat produziert), aber ich glaube der Kontext erschließt sich...
Noch mehr Lesestoff und Inspiration
China aims to build 450 GW of solar, wind power on Gobi desert — www.reuters.com
China plant den Bau von 450 Gigawatt (GW) an Solar- und Windenergiekapazitäten in der Wüste Gobi und anderen Wüstenregionen. Das ist FETT!!!!!
The Pentagon is working on an algorithm to detect Covid early — www.politico.com
Das Pentagon hat einen Auftrag vergeben, um die Arbeit an einem Algorithmus fortzusetzen, der Berichten zufolge vorhersagen kann, ob eine Person bereits zwei Tage vor Auftreten von Symptomen an COVID-19 erkrankt ist. Der Algorithmus stützt sich auf die von Fitness-Trackern gesammelten Daten, um die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zu bewerten.
AI minds the gap and fills in missing Greek inscriptions — www.nature.com
Das Google KI-Unternehmen DeepMind hat gemeinsam mit Historiker*innen einen KI-Algorithmus entwickelt, der altgriechische Inschriften wiederherstellen und ihre Herkunft vorhersagen kann. Die Forscher trainierten das maschinelle Lernsystem mit dem Namen Ithaca anhand von 63.000 gut untersuchten und transkribierten altgriechischen Texten aus dem Mittelmeerraum, die zwischen 700 v. Chr. und 500 n. Chr. verfasst wurden.
Amazon to close 68 physical retail locations, including Amazon Books and 4-star stores — techcrunch.com
Amazons Einzelhandelsgeschäft mit "richtigen Läden" erleidet offensichtlich gerade einen schweren Schlag. 68 dieser stationäre Einzelhandelsgeschäfte in den USA und Großbritannien werden schließen. Dazu gehören die Amazon Books-Buchläden, die Pop-up-Läden in verschiedenen Märkten und die sogenannten "4-Sterne-Läden", in denen Kund*innen beliebte und hoch bewertete Produkte auf Amazon.com kaufen konnten.
Abteilung "Technologie & Gesellschaft"
Apple AirTags: Wie ein Berliner Hacker die Maßnahmen gegen Stalking umgeht — www.spiegel.de
Warum ich das wichtig finde?
Tracking Gadgets wie z.B. die Apple AirTags sollen helfen, verlorene Gegenstände zu finden. Es häufen sich aber die Geschichten und Belege, dass sie vermehrt zur heimlichen Überwachung von Menschen missbraucht werden. Apple verspricht Abhilfe und neue Sicherheitsvorkehrungen. Die bisher angekündigten Maßnahmen reichen aber nicht aus, wie der Berliner IT-Spezialist Fabian Bräunlein mit einem Eigenbau beweist. Die große Schwachstelle im System stellt nämlich die Schnittstelle und die erlaubten Möglichkeiten für nicht-Apple-eigene Geräte dar, welche das Apple "Find me" Framework nutzen können.
Apple [...] eine Reihe von zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen eingeführt, um Stalking und unbemerkte Überwachung mithilfe seiner AirTags zu erschweren. Schließlich sollen die kleinen Tracker nur helfen, verlorene Gegenstände wiederzufinden. Das Problem: Diese neuen Vorkehrungen lassen sich allesamt umgehen, weil Apple die Tracker von anderen Herstellern, die Apples Findenetzwerk nutzen, außer Acht gelassen hat. [...]
Nachbauen könnte das nicht jeder Stalker oder jede Stalkerin. Der Sicherheitsforscher bezeichnet sich selbst als »etwas vertrauter mit AirTags als der durchschnittliche Hacker«, zudem hat er seinen Code auch nicht bis ins letzte Detail veröffentlicht. Aber für einen ebenso findigen Kriminellen könnte es ein Geschäftsmodell sein, massenhaft entsprechende Klone herzustellen. Bräunlein sagt: »Ich könnte mir vorstellen, dass man so ein Nachbaugerät in der Größe von AirTags für drei bis zehn Euro produzieren und für 100 Euro verkaufen könnte.«
Yes, you should just delete your apps — canadiandimension.com
Warum ich das wichtig finde?
Corey Mintz schreibt hier über das ungesunde Geschäftsmodell hinter den Essenslieferdiensten. Er sagt, dass Menschen, denen die Restaurants ihrer Stadt am Herzen liegen und die sich für deren Überleben einsetzen möchten eigentlich nur ein Weg infrage kommt. Nämlich sich für das Essen entscheiden, bei welchem die Umsätze direkt in die Taschen der Restaurants fließen.
In the last five years, a powerful myth has been embedded in our culture; that we cannot live without the convenience of near-instant delivery. Before we had smartphones, how did we manage to get dinner on the table? Were we all exhausted by having to call Chinese and pizza restaurants for delivery, or miserly by only being able to choose between the two-dozen menus underneath the cutlery drawer in our never-used kitchens? Despite the notion that advertising’s success can only be measured in sales, the collective delusion that we cannot live without the convenience of third-party delivery is a huge victory for Uber Eats, DoorDash, Postmates, Grubhub and their peers. [...]
most [food delivery companies] operate on the same model: use technology to get between a traditional business and its customers by offering the customers a “cost-free” convenience, then ransom the customers back to the business and pass on the cost of delivery through a commission rate higher than the restaurant’s profit margin. I think that’s predatory. And it’s only possible because these companies are subsidized by a continuous stream of VC money. [...]
We can stop using these apps. Delete them from our phones. I just did it. Before we could use apps to order food, did we all starve to death? True, it means that I can no longer choose dinner from two hundred different restaurants. I don’t think I ever did. Most of us order from the same half dozen places on repeat. If I really want food from a particular restaurant, I’ll call it in and pick it up.
Noch mehr Lesestoff und Inspiration
AI model detects mental disorders based on web posts — techxplore.com
Forscher*innen aus Dartmouth haben ein KI-Modell entwickelt, um psychische Störungen rein anhand von Gesprächen auf Reddit zu erkennen. Hier könnte eine ganz neue Welle von Screening-Tools entstehen, die Computer zur Analyse von Social-Media-Beiträgen nutzt und Rückschlüsse auf die psychische Gesundheit von Menschen erlauben.
Russland und der Westen spielen riskantes Zensur-Ping-Pong — www.sueddeutsche.de
Eine interessante Facette in Bezug auf die Rolle von Tech-Unternehmen und ihren Diensten im Krieg. Google hat auf Bitten der ukrainischen Regierung sein Feature "Live-Verkehr" für das gesamte Land abgestellt, Apples Kartendienst ebenfalls. Stau-Apps können nämlich zur Zielvorrichtung für Kampfjets werden. Tech-Unternehmen wie Google könnten so mit ihren Apps in Kämpfe am anderen Ende der Welt involviert werden. Hier wird sehr plastisch sichtbar, in welche heiklen Verstrickungen die Tech-Unternehmen in den kriegerischen Auseinandersetzungen geraten können.
Zum Russland-Ukraine Krieg
Ich habe die Rubrik "Gesellschaft - quo vadis" in dieser Ausgabe umgewidmet mit einer alleinigen Ausrichtung auf den Ukraine-Krieg. Zur schrecklichen Situation in der Ukraine und deren Auswirkungen auf Europa und das gesamte geostrategische Gefüge der Welt finden sich hier die Artikel, welche ich in den letzten zwei Wochen am hilfreichsten fand.
China und Russland: Putins Komplize — www.zeit.de
Warum ich das wichtig finde?
Weil es hier um einen Aspekt geht, der extrem wichtig ist und wohl noch werden wird, welcher aber nicht wirklich in der Breite der Berichterstattung angekommen ist. Habt ihr Euch schon damit beschäftigt, wie sich China zum Krieg äußert und aufstellt - und was das wohl für den langfristigen Ausblick auf die geopolitische Situation in der Welt bedeuten könnte?
In der Ukraine sterben die Menschen. Zwischen Moskau und Peking aber herrscht "Freundschaft ohne Grenzen". So steht es in der "Gemeinsamen Erklärung", die Putin und Xi an diesem denkwürdigen 4. Februar beschlossen haben. Sie liest sich wie die Geburtsurkunde eines neuen Ostblocks. Gleich im ersten Absatz heißt es hoffnungsfroh: "Ein Trend zeichnet sich ab zur Neuverteilung der Macht in der Welt."
Und darum geht es den beiden mächtigsten Autokratien unserer Zeit: Sie wollen das Ende der Vorherrschaft der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten. Es soll Schluss sein mit den vom Westen gesetzten "demokratischen Standards". Jedes Land entscheide selbst über seine Form der Regierung, der Rest der Welt habe sich da nicht einzumischen, schon gar nicht mit dem Hinweis auf universelle Werte. [...]
Es sieht aus wie Komplizenschaft, es hört sich an wie Komplizenschaft, alles spricht dafür, dass es Komplizenschaft ist. Nicht nur in Russland, auch in China heißt der Krieg nicht Krieg, sondern "Operation" oder einfach "gegenwärtige Situation". Am besten, man spricht gar nicht darüber. [...]
Wie zu Beginn des Ost-West-Konflikts beginnt sich die Welt wieder zu teilen, in eine russisch-chinesische und eine westliche Sphäre. Schritt für Schritt entstehen zwei Welten. China hat sein Internet schon seit Langem abgeschottet, Russland folgt jetzt. Auch in den Finanzmärkten bilden sich zwei Systeme heraus, das eine rechnet in Dollar ab, das andere in chinesischen Renminbi. Nun teilt sich die Welt politisch und militärisch ebenfalls. [...]
Was ist der Ausblick? Matthias Naß von der Zeit, blickt eher gelassen in die Zukunft in Bezug auf eine russisch-chinesische Achse:
[...] der Westen muss die russisch-chinesische Herausforderung nicht fürchten. Er ist in allen Belangen überlegen: politisch, wirtschaftlich, technologisch – und immer noch militärisch. Von seiner politischen Anziehungskraft und kulturellen Ausstrahlung ganz zu schweigen. Hinzu kommt: Es formiert sich ein neuer Westen, der vom Nordatlantik bis zum Indopazifik reicht. Nicht nur die EU, die USA und Kanada gehören dazu, auch Japan, Südkorea, Australien oder Singapur. Hochindustrialisierte Länder mit gewaltiger wirtschaftlicher und finanzieller Kraft, die sich alle den Sanktionen gegen Russland angeschlossen haben. Eine "Neuverteilung der Macht" wird so schnell nicht kommen. Zumal der Westen sich seiner Abhängigkeiten bewusst geworden ist.
Ich muss ganz klar sagen, dass ich das nicht uneingeschränkt teile. Die Aussicht eines westlichen Blocks, dem nun - anders als im Kalten Krieg des letzten Jahrhunderts - ein östlicher Block aus Russland UND China gegenübersteht, verheißt für mich nichts gutes. Ich bin in den letzten Tagen irgendwie immer mehr an die Weltaufteilung aus George Orwells 1984 erinnert. Steht uns eine solche Welt bevor? Zumindest in der Orwellschen Grenzziehung sähe das schonmal nicht gut für uns aus...
Hier gibt es zum Thema China-Positionierung noch mehr interessanten Lesestoff beim Spiegel. Kommentator Henrik Müller fokussiert hier darauf, dass die russische Aggression Deutschland und Europa nun gnadenlos die eigenen Unzulänglichkeiten vorführe. Um bestehen zu können, müssten wir drastische Konsequenzen ziehen. Er zweifelt, ob wir bereit sind dafür... 👇
Ukraine-Krieg: Wie wir uns ändern müssen, damit wir nicht untergehen — www.spiegel.de
Wie konnte das eigentlich passieren? Wie kann sich so viel Passivität über so viele Jahre parteiübergreifend breitmachen? Wie kommen wir aus dieser Haltung raus? [...]
Es ist nicht so, dass wir die Schocks nicht wahrgenommen hätten. In den Medien wurde intensiv darüber berichtet. Immer wieder gab es große Empörungswellen, nicht nur Putins Russland betreffend. Aber sie verebben stets rasch wieder. Ermüdungseffekte treten ein. Das Publikum ist gelangweilt. Die gesellschaftliche Erregungsgemeinschaft wendet sich dem nächsten Thema zu. [...]
Ich weiß nicht genau, was Müller mit "Bullshit-Diskussionen" und seinem Vorwurf der Trivialisierung genau meint - er führt es auch nicht aus. Wenn es um die Profanisierung unseres Alltags geht, bin ich dabei. Sähe er vor allem gesellschaftliche Debatten über Gleichstellung, Polarisierung, Fairness, etc. darunter, würde ich ihm energisch widersprechen. Denn egal ob wir uns der Klimakatastrophe oder geopolitischen Bedrohungen gegenübersehen, das Streben nach Gleichstellung für alle Menschen in unserer Gesellschaft ist immer ein extrem wichtiges Anlegen, von dem wir nicht ablassen dürfen. Lassen wir uns von konservativen Auguren gerade jetzt bloß nichts anderes einreden.
Folgen der öffentlichen Trivialisierung: Wir leiden an einem gefährlichen kollektiven Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Statt uns mit den Grundfragen unserer Sicherheit, Stabilität und Fairness zu befassen, führen wir Bullshit-Diskussionen. Das muss aufhören. Politik und Öffentlichkeit sind zu häufig abgelenkt. Deshalb fehlt der Druck – oder der Anreiz –, sich mit den großen, dringlichen Fragen zu beschäftigen und tragfähige Antworten zu finden. Allerdings kann fehlendes öffentliches Interesse keine Entschuldigung für Politikerinnen sein, existenzielle Themen unbearbeitet liegen zu lassen. [...]
Dezentralisierung ist in Friedenszeiten eine gute Sache. Doch Putin führt uns gerade vor, welch enorme destruktive Kraft auch eine kleine, eigentlich schwache Volkswirtschaft nach außen entfalten kann, wenn sie sich auf eine extreme Form der Machtkonzentration einlässt. Um gegen die russische – und die chinesische – Herausforderung etwas ausrichten zu können, werden auch wir nicht umhinkommen, unsere Kräfte zu bündeln, und das heißt: ein Stück zentralistischer zu werden. Das gilt innerhalb der EU ebenso wie innerhalb der Bundesrepublik mit ihren quälenden Ministerpräsidentenkonferenzen. [...]
Wie sagte Harold James: Tiefe Krisen und Kriege können zu neuen internationalen Verbindungen führen – zu einer besseren, sichereren, wohlhabenderen Welt. Mag sein. Aber damit diese Vision Realität werden kann, braucht es eine gehörige Portion Willen.
Und nicht nur das. Vielleicht und hoffentlich ist das schonungslose Offenlegen unserer in den letzten drei Jahrzehnten bewusst gewählten Abhängigkeit von Rohstoffen aus autoritären Staaten der Sputnik-Moment für ein entschlossenes Zuwenden zu erneuerbaren Energien auf breiter Basis in der deutschen Politik. Ob die "Vernünftigen" vor allem in CDU, CSU und FDP jetzt grade merken, wie problematisch die Folgen ihres jahrelangen ideologischen Kampfes gegen Windkraft, PV und Verkehrswende sind? Ob sich ein paar davon schämen und diese riesigen Fehler bereuen? Ich hoffe es sehr.
Warum deutsche Millennials strategisches Denken lernen müssen — internationalepolitik.de
Warum ich das wichtig finde?
Dies ist ein echtes Nugget, welches ich in den letzten zwei Wochen gefunden habe. Es geht darum, wie sehr den jüngeren Generationen die Fähigkeit zum strategischen Denken fehle. Und darüber hinaus uns allen in Punkto Haltung und Moral ein klaffendes Loch entgegenblickt, wenn wir selbstkritisch sind. Die Autorin Ulrike E. Franke sieht die Bundesrepublik nicht nur militärisch, sondern auch moralisch in einem kläglichen Zustand. Für sie gilt aber, dass solche Momente, wie wir sie gerade erleben - "Momente der Wahrheit" - aber auch Chancen zum klareren Sehen eröffnen.
Es ist eine Stunde der Bewährung und die Bundesrepublik steht nicht besonders gut da: Wir haben auf russisches Gas gesetzt und die Kriegskassen Putins gefüllt. Korruption und Appeasement bestimmten die Russlandpolitik, Putinversteher tummelten sich auf allen Kanälen und rechtfertigten die Handlungen und Ansichten eines Mannes, der aus seiner Brutalität nie einen Hehl gemacht hat. Wir haben die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine verhindert, helfen weder mit Soldaten noch mit Waffen und geizen selbst bei den Sanktionen. [...]
Es wurde bereits darüber geschrieben, dass es für diejenigen, die diese Veränderung miterlebt haben, schwierig ist, sich auf die heutige geopolitische Situation einzustellen, in der Großmachtpolitik wieder eine Rolle spielt. [...]
Es reicht nicht, an Altbekanntem festzuhalten und zu hoffen, dass die liberale Weltordnung sich durch festes Glauben an Freundschaften und internationale Organisationen von alleine einrenken wird. Um Herausforderungen wie der Klimakrise oder dem Aufstieg Chinas zu begegnen, werden wir neu denken müssen und lernen, strategisch zu denken und zu handeln. Das bedeutet, die eigenen Interessen zu definieren, unsere Fähigkeiten zu evaluieren und sie aufzustocken, wo nötig. Wir müssen Strategien formulieren, die unsere Fähigkeiten mit unseren Interessen in Einklang bringen und die Interessen anderer Akteure miteinbeziehen. So können wir dafür sorgen, dass Deutschland und Europa sicher und wohlhabend bleiben, die liberale Weltordnung aufrechterhalten wird und wir so gut wie möglich gerüstet sind für die nächsten Herausforderungen. „Gen Z“, die Generation nach uns, ist schon mit Fridays for Future auf der Straße. Es ist unsere Aufgabe, Deutschland für sie stark zu machen – und für all diejenigen, die jetzt gerade in ihren Kinderzimmern sitzen und Songs hören.
Kolumne: Russlands Krieg in der Ukraine ist auf Lügen gebaut — www.n-tv.de
Warum ich das wichtig finde?
Hier geht es darum, wie wichtig es ist, sich mit guten und seriösen Nachrichten zur oft undurchsichtigen Lage im Kriegsgeschehen und den geo-strategischen Debatten zu versorgen. Wir haben schon die Pandemie für unübersichtlich gehalten, und selbstverständlich nicht gewusst, wie sich Krieg anfühlt. Es war zu ahnen, was passiert, wenn ein Großmeister der Desinformation wie Russland einen solchen Krieg anzettelt. Wenn man genauer anschaut, was da gerade in Russland passiert und aus Russland überschwappt, dann wirkt es wie ein schlimmer Strudel aus Desinformation und gefühligen Halbwahrheiten. Und genau dem sollten wir uns entgegenstellen. Es ist nicht die Zeit für haltungslose Gemütlichkeit.
Diese Säulen stürzen ebenfalls ein, wenn man es sich in der eigenen Unwissenheit gemütlich macht. Die Hintergründe des Konflikts sind kompliziert, die östliche Ukraine scheint weit weg, es ist ein Mischmasch aus Weltgeschichte und Völkerrecht, gut durchgerührt mit täglich neuen Lügen. "Davon verstehe ich nichts, ich will nur keinen Krieg" geht leichter über die Lippen als "Russland ist rechtswidrig in der Ukraine einmarschiert". Keine Meinung zur Lage zu haben, ist da der einfache Ausweg. [...]
Haltung bedingt aber zumindest den Versuch, im Nebel des Krieges mündig zu bleiben. Wie das? Es hilft die Orientierung an Recht und Expertise. Naturgemäß muss sich verloren fühlen, wer in jedem Journalisten den Lügenbold wähnt. Anerkannte, etablierte und diskursgestählte Medien sind aber die bessere Wahl als russische Staatspropaganda und für Putin munkelnde Internetgurus. Fachleute von Universitäten (wie die erwähnte Gwendolyn Sasse) geben bessere Auskünfte als Petra93 im Mamiforum - Letztere findet man deshalb seltener im Morgeninterview des Deutschlandfunks oder bei "Lanz".
Der Nebel des Krieges ist kein Dampfbad, in dem man sich verstecken kann: Erobern wir uns Mündigkeit. [...]
Deshalb halte ich es für komplett falsch, wenn manche jetzt den Tipp geben, zugunsten der eigenen Befindlichkeit weniger Nachrichten zu konsumieren. Das Gegenteil ist richtig: Jetzt ist Hochkonjunktur fürs Lesen, Schauen, Lernen. Es ist die richtige Zeit für Haltung im Angesicht von Rechtsbruch und Krieg. Und nicht die Zeit für Gemütlichkeit.
The internet is a force multiplier for Ukraine — www.platformer.news
Warum ich das wichtig finde?
Hier geht es um die Rolle von Social Media... und zwar um eine Betrachtung aus einer optimistischen, so noch nicht gehörten oder beobachteten Perspektive. Jahrelang haben wir Social Media immer nur als Werkzeug mit Zersetzendem Charakter für unsere freien Gesellschaften und die Demokratie angesehen. Der Krieg in der Ukraine zeigt aber auch das gegenteilige Potential.
From 2016 to 2021, then, it was only natural that pro-democracy forces largely came to believe that social networks could only have a corrosive effect on the world. Algorithms built to identify and promote the angriest and most outrageous sentiments would, over time, polarize populations and pave the way for their countries to be taken over by strongmen. [...] Perhaps they still will. But it has been striking, watching the horrific invasion of Ukraine that Vladimir Putin’s Russia began on Thursday, the degree to which social networks have been used in efforts to preserve democracy. [...] Russia might have been expected to excel at information warfare. Instead, like the rest of the war, it has gone quite badly for them. It is Ukraine that has been masterful in its use of social media — and while that may not prove decisive in whether or not it overcomes Russia’s superior military, at the very least it complicates our understanding of big tech and democracy. [...]
At a time of plummeting trust in institutions, the collective force of these actions has been profound. There may be no greater depolarizing force on earth than a common enemy, and Russia’s murderous and erratic autocrat has given us one. [...]
All of this is critical, I think, to understanding the moves platforms have made (and resisted making) over the past four days, and of the way the war has been received on those platforms. It is exceedingly rare to witness an event of such global importance in which the forces of good and evil are so clearly delineated. Everything we have seen on tech platforms so far is downstream of that."
Und da Social Media mit "Big Tech" zu tun hat, finde ich das hier noch teilenswert. Im (mir bis hierin unbekannten) Podcast Doppelgänger (danke für den Tipp, Manuel Kreutz!) gibt es eine Bewertung der (kommunikativen) Maßnahmen bzw. Verlautbarungen von Google, Facebook und Co. Und eins lässt sich sagen: sie sind allesamt verlogen. Denn es scheint das Prinzip zu gelten, immer gerade das als eine Handlung welche auf Haltung basiert zu verkaufen, welche ohnehin unausweichlich ist. Durch gut vernetzte Lobbyisten und weitere Netzwerke erfahren diese Unternehmen immer ein bisschen eher von neuen Sanktionen und staatlichen Maßnahmen, welche ihnen bestimmte Facetten ihres Geschäfts oder auch das ganze Geschäft in Russland unmöglich machen. Flugs kommen sie kurz vorher mit Melden an die Öffentlichkeit, in denen proaktive Rückzüge als einwandfreie Taten der Haltung verkauft werden. 👇
Podcast: Doppelgänger Tech Talk - #123 Big Tech Krisen PR — open.spotify.com
Wie verhält sich Big Tech in der aktuellen Lage? Wir sprechen heute über Unternehmen die sich "ein bisschen richtig" verhalten.
Zum Abschluss des Abschnitts über den Krieg möchte ich Euch das hier nicht vorenthalten. Ich bin über dieses Interview gestolpert in dem es darum geht, ob das Thema Krieg am Arbeitsplatz thematisiert werden sollte. Ich bin selbst beruflich durch meinen Kommunikationsjob eng dran an diesem Thema. Aber was hier vorgeschlagen wird, dazu fällt mir nur ein einziges Emoji ein: 🤢👇
Kommunikation zum Ukraine-Krieg: Wann Sie den Ukraine-Krieg im Team ansprechen sollten – und wann nicht — www.impulse.de
Viele Chefs und Chefinnen fragen sich gerade, ob sie den Ukraine-Konflikt thematisieren sollten – und wenn ja, wie. Florian Becker, Psychologe, BWLer und Kommunikationswissenschaftler, erklärt, wann Gespräche helfen und wie Sie sie am besten führen.
Sollen wir über den Krieg im Kontext unserer Arbeit reden - ja? - nein?
In den meisten Fällen würde ich davon abraten. Weil es nur in Ausnahmefällen sinnvoll ist. Etwa dann, wenn der Krieg ganz konkret das operative Geschäft eines Unternehmens beeinflusst. Oder es Partnerunternehmen oder Großkunden in der Ukraine gibt, mit deren Mitarbeitern viele im Team zu tun haben. Oder wenn Konflikte in der Belegschaft daraus entstehen. Dann sollten Chefs das Thema ansprechen. Unter normalen Umständen haben Sie als Chef keinen Vorteil davon, den Krieg zu thematisieren. Es kann sogar nachteilig sein. Die psychologische Forschung weiß: Bestimmte Gedanken geben einem Kraft und Energie – andere machen einen schwach. Beispielsweise im Leistungssport setzt man so eine Mentalhygiene ein. Zu den schwächenden Gedanken gehören Vorstellungen von Krieg mit Tod, Vertreibung, Vernichtung und Gefahr. Genau diese Gedächtnisinhalte aber aktivieren Sie, wenn Sie den Ukraine-Krieg in den Vordergrund rücken. Das drückt die Stimmung im Team, raubt Kreativität und Motivation. Als Chef oder Chefin müssen Sie sich klarmachen: Was immer Sie thematisieren, hat Auswirkungen auf Ihre Mitarbeiter. [...] Der Ukraine-Krieg beherrscht gerade den politischen Alltag und die Medien, klar. Es ist aber einfach nicht zweckmäßig, dass er ganze Teams von der Arbeit abhält und beschäftigen sollte. Es gibt also schlicht keinen Grund, im Büro oder der Produktionshalle darüber zu sprechen.
Wahnsinn. Ich habe selten einen derart unempathischen Mist gehört. Da kommt eine Haltung zum Ausdruck, die nicht wahrzunehmen und zu würdigen scheint, dass Menschen am Arbeitsplatz nicht Roboter sind, die am Eingang ihr Menschsein abgeben, sondern tatsächlich auch bei der Arbeit immer noch Menschen sind. Meine persönliche Wahrnehmung: fast alle meine Kolleg*innen haben das Bedürfnis, dass wir dieses Thema nicht aussparen und selbstverständlich in unseren Runden darüber sprechen. Und das tut uns gut. Sollten Teams, sollten "Führungskräfte" den Rat dieses offensichtlich bei Wish bestellten Psychologen ernst nehmen, dann werden wichtige Gefühle schön unterdrückt und sorgen dann auf längere Sicht ganz bestimmt für negative Auswirkungen.
Interessantes zum Schauen
Auch wenn ich wünschte, dass sich Querdenken in diesen Zeiten des Kriegs von allein erledigen würde (nein, das tut es nicht - diese Klientel tritt nun besonders ekelhaft, nämlich pro-Russland, auf), möchte ich hier noch dieses 5-minütigen Beitrag aus der 3sat Mediathek teilen. Es geht um den Aspekt der "Infodemie" in der Pandemie. Und diese lässt sich direkt auf die Auseinandersetzung mit Russland übertragen.
Querdenker: Zwischen Wut und Misstrauen — www.3sat.de Bei genauer Betrachtung ist es weiniger die Pandemie und der Umgang mit ihr, die diese Minderheit in die Verzweiflung treibt, sondern eine Infodemie.
Dies und Das
Über "Fake News". Es ist übrigens gut zu sehen, dass in weiten Teilen der deutschen Politik der Begriff "Fake News"gemieden wird. Auch wenn ich immer wieder auch bei Politiker*innen, aber auch Journalist*innen rätselhaftes Missachten eines feinen Gespürs für Sprache und deren Wirkung sehe, wird in diesem Kontext oft der Begriff Desinformation verwendet. Hier noch einmal die wichtige Unterscheidung zwischen Des-, Fehl- und Malinformation:
Russland verabschiedet sich vom offenen Internet:
Shocking Umfrage der ARD zur Unterstützungsbereitschaft der bundesdeutschen Bürger in Bezug auf die Sanktionen gegen Russland. Shocking, aber dann auch nicht wirklich überraschend wenn man es nach Parteizugehörigkeit aufgeschlüsselt wird. Trotzdem wirklich krass, das so zu sehen:
Der Krieg und zerbrechliche Männlichkeit:
Ach so, den "Freedom Day" gibt es ja auch noch. In der kommenden Woche werden wir endlich befreit von den drangsalierenden Corona-Maßnahmen. Wie gut, dass die Pandemie dann wenigsten zu Ende ist. Ich hatte schon gedacht, das hört nie auf. Spaß beiseite... ich weiß gar nicht, ob ich lachen oder weinen soll, wenn ich daran denke. Wie absurd kann es noch werden, angesichts von Infektionszahlen, die in dieser Woche zum ersten Mal die Marke von 250.000 pro Tag überschritten haben. Es hatte seit dem Beginn vor zwei Jahren dann doch eine Weile gedauert, bis „Nur ein Schnupfen“ von einem rechten Verschwörungsideologem zur breit anzutreffenden Mainstream-Position geworden ist. Aber nun geht alles ganz schnell. Nachdem wir erst in diese halb-offizielle Herdemimunitäts-Strategie ge-gaslighted wurden, paaren sich nun die nackten Interessen und politisches Kalkül mit dem Trotz genervter Egoist*innen, die nach zwei Jahren schlicht keine Lust mehr auf Solidarität und die hierzu notwendigen Einschränkungen haben. Jetzt werden wir beherrscht von einem kontrafaktischen „Ist jetzt aber auch wirklich mal gut mit Corona“. Ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis man als Maske-tragender Mensch in der Öffentlichkeit standardmäßig angepöbelt und offen diffamiert wird. Ich glaube nämlich, jetzt erst beginnt die wirklich hässliche Phase dieser Pandemie.
Grüße gehen raus vor allem an die FDP!
Zum Schluss noch diese paar Worte, die ich hier gefunden habe. Drückt irgendetwas besser aus, was gerade abgeht und wie wir uns fühlen? Hier hat jemand alles unfassbar kraftvoll zusammengefasst:
a pandemic followed by a war consumed through memes and reels playing out in trending hashtags highlighting our new and broken normal offline is peak life in the digitaloverse where you feel everything all the time but also have no capacity to feel anything ever because even debilitating anxiety is a chore on your never-ending to-do list and the compounding sadness needs time you don't have so you just scroll to remember till you just scroll to forget
Der ganze Rest
Alles, was ich noch interessiert gelesen habe, aber hier nicht im Detail besprechen kann:
What happens when Americans stay in the same house forever? (Vox)
When Vladimir Putin escalates his war, the world must meet him (The Economist)
Putins Krieg in der Ukraine: Der Maskierte (Der Spiegel)
Vladimir Putin’s invasion of Ukraine is wrecking two countries (The Economist)
Thoughts On Shitpost Diplomacy (The Scholar's Stage)
Ostdeutsches Putin-Verständnis Die falschen Lehren aus 1989 (Der Spiegel)
Vladimir Putin’s nuclear threat shows how much is going wrong for him in Ukraine (The Economist)
Kann die Nato sich verteidigen? (Die Zeit)
Roman Abramowitsch: Mit ihm fing alles an (Die Zeit)
Trägheit nach zwei Jahren Pandemie Zurück ins Leben (Der Spiegel)
Wahr ist nur, was ohne Interesse richtig aussieht (Omnisophie)
Warum die Dinobabies am Arbeitsmarkt nicht so schnell verschwinden werden (Ada Magazin)
Wie Chinas Jugend die Tech-Industrie herausfordert (Ada Magazin)
Wie weit geht Putin? Eine persönlichkeitspsychologische Perspektive (Everhard von Grote)
Germany agonises over Merkel’s legacy: did she hand too much power to Putin? (The Guardian)
I’ve seen the metaverse – and I don’t want it (The Guardian)
Amy Coney Barrett’s Long Game (The New Yorker)
‘Crypto Ruined My Life’: The Mental Health Crisis Hitting Bitcoin Investors (Vice)
Habt einen schönen Sonntag und einen guten Start in die neue Woche!