⭕ Am-Ball-Bleiben - Issue #94 - Reading Digest von André Cramer
Hallo zusammen! Willkommen zur neuen Ausgabe meines Newsletters! Wie angekündigt, hatte ich nochmal ein paar Wochen Pause eingelegt. Mein Empfehlungen für interessante Lesestücke reichen aber über den gesamten Zeitraum der letzten 5-6 Wochen. Und hier sind die Highlights... vielleicht ist was für Euch dabei → 📰 📻👂👁️
⊗ über neue KI-Fähigkeiten: Covid-Erkennung anhand der Stimme, Videos aus einem einzigen Bild, Ausbügeln von Sprachakzenten und Deepfakes für alle ⊗ über synthetische Milch ⊗ über das Ende des chinesischen Smartphone-Booms ⊗ wie Werbung hilft, die Demokratie zu schwächen ⊗ über algorithmische Angst ⊗ über Saugroboter und Datenmonopole ⊗ ob wir Milliardären die Gestaltung unserer Zukunft anvertrauen sollten ⊗ über sensible Ovulationsdaten und die Verfolgung von Schwangerschaftsabbrüchen ⊗ über Hitzewellen und unsere Einstellung zur Zukunft ⊗ wer Schuld an der Energieknappheit ist ⊗ ob "Cancel-Culture" unsere Freiheit bedroht ⊗ über Einblicke in die (gewaltgeprägte) russische Gesellschaft ⊗ ob Nachhaltigkeit als Business Case betrachtet werden sollte ⊗ über Bürokultur und Privilegien ⊗ über unsere Sprache und ihre Entwicklung ⊗ viele Hör- und Seh-Empfehlungen ⊗ und noch viel, viel, viel mehr!
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Abteilung "Technologie & Innovation"
New AI model can detect COVID from a person's voice — inside.com
Forscher der Universität Maastricht haben ein KI-Modell entwickelt, das eine COVID-19-Infektion nur durch Analyse der Stimme einer Person erkennt. Das Modell erreichte eine Genauigkeit von 89%, die höher ist als die vieler Lateral Flow/Rapid Antigen-Tests.
Google Scientists Create AI That Can Generate Videos From One Frame — futurism.com
Das zu Alphabet gehörende KI-Unternehmen DeepMind hat mit einem neuronalen Netzwerk gezeigt, dass es mit einem neuen KI-Framework, Transframer, kurze Videos aus einem einzigen Bild erstellen kann.
Not like udder milk: 'synthetic' dairy milk made without cows may be coming to a supermarket near you — theconversation.com
Für synthetische Milch werden keine Kühe oder andere Tiere benötigt. Sie kann die gleiche biochemische Zusammensetzung wie Tiermilch haben, wird aber mit einer neuen biotechnologischen Technik, der "Präzisionsfermentation", hergestellt, bei der Biomasse aus Zellen gezüchtet wird. So hergestellte Milch ist heute noch deutlich teurer als herkömmliche. Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, gehen von ungefähr sieben Jahren aus, bis synthetische Milch billiger als Kuhmilch sein kann.
China's Golden Era of Smartphones Is Ending — www.bloomberg.com
Der größte Smartphone-Markt der Welt steckt in großen Schwierigkeiten. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens IDC ist der Absatz von Smartphones in China im zweiten Quartal um 14,7 % zurückgegangen. Viele Faktoren tragen dazu bei, darunter die strenge Zero-Covid-Politik, aber das größere Problem ist eines, das von den Smartphone-Herstellern des Landes schon lange befürchtet wird. Chinas mehr als 10-jähriger Smartphone-Boom, der von neuen Käufern und unaufhörlichen Upgrades angeheizt wurde, neigt sich wahrscheinlich grundsätzlich seinem Ende zu.
Abteilung "Technologie & Gesellschaft"
Werbemillionen gegen die Demokratie — www.republik.ch
Warum ich das wichtig finde?
Hier gibt es einen sehr guten Einblick in die Welt der Online-Werbung, und zwar mit der Perspektive, dass viele Werbende gar nicht wissen, wo letztendlich ihre Anzeigen landen. Hint: oft genug nämlich auf politisch rechtsextremen Seiten. Somit werden durch Online-Inserate, deren Urheber*innen das gar nicht wissen oder geplant haben, große Summen in fragwürdige Websites gepumpt. Der Schweizer Werbeberater Michael Maurantonio will das stoppen - hier gibt es spannende Einblicke:
Maurantonio fand Anzeigen von Schweizer Musikern, von Politikerinnen, aber auch öffentlichen Institutionen wie Polizeibehörden, Universitäten oder Fachhochschulen an Orten, an denen diese unmöglich werben wollten. Auch ein Inserat der Republik tauchte auf der Rechtsaussen-Newssite «Breitbart» auf. [...] Insgesamt generierten die Top 50 der von ihm überwachten Seiten etwa 60 Millionen Besuche aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und etwa 12 Milliarden ad impressions aus diesen drei Ländern. Somit flossen schätzungsweise 15 bis 20 Millionen Franken jährlich aus der Schweiz zu den Betreibern, etwa 100 Millionen Euro aus Deutschland. [...]
Viele der fraglichen Seiten sind in den USA registriert, wo sie den rechten Kampf gegen die Demokratie mit Desinformation anheizen. [...]
Geld, mit dem diese Clickbait-Inhalte produzieren, die automatisiert über Social Media verbreitet werden, wo sie wiederum Traffic auf die eigenen Seiten generieren. Die Website-Rating-Organisation Newsguard fand heraus, dass 2000 Unternehmen Anzeigen auf Websites schalteten, die in den USA die Lüge vom Wahlbetrug bei den Präsidentschaftswahlen 2020 verbreiteten.
The Age of Algorithmic Anxiety — www.newyorker.com
Warum ich das wichtig finde?
Wenn wir heute online sind und mit Websites interagieren, werden wir von systemgenerierten Empfehlungen umzingelt. Das wird von vielen Menschen gar nicht (mehr) hinterfragt. Aber was steckt eigentlich dahinter, was sind die Auswirkungen und wollen wir das eigentlich wirklich alles, was "die Maschinen uns sagen"?
[...] Tarleton Gillespie, an academic who works for Microsoft’s research subsidiary, described how users were learning to shape what they posted to maximize their “algorithmic recognizability,” an effort that he compared to a speaker “turning toward the microphone” to amplify her voice. [...]
“Algorithmic anxiety,” however, is the most apt phrase I’ve found for describing the unsettling experience of navigating today’s online platforms. Shagun Jhaver, a scholar of social computing, helped define the phrase while conducting research and interviews in collaboration with Airbnb in 2018. Of fifteen hosts he spoke to, most worried about where their listings were appearing in users’ search results. They felt “uncertainty about how Airbnb algorithms work and a perceived lack of control,” [...] the hosts also developed what Jhaver called “folk theories” about how the algorithm worked. They would log on to Airbnb repeatedly throughout the day or constantly update their unit’s availability, suspecting that doing so would help get them noticed by the algorithm. Some inaccurately marked their listings as “child safe,” in the belief that it would give them a bump. [...] Jhaver came to see the Airbnb hosts as workers being overseen by a computer overlord instead of human managers. In order to make a living, they had to guess what their capricious boss wanted, and the anxious guesswork may have made the system less efficient over all. [...]
Amazon to acquire Roomba robot vacuum maker iRobot for $1.7 billion — www.theverge.com
Warum ich das wichtig finde?
Diese Meldung hier machte vor einigen Wochen die Runde. Aber je nachdem, wo man sie gelesen hat, wurde hier unterschiedlich tief reingebohrt. Diese Übernahme des Saugroboter-Herstellers iRobot durch Amazon hat es nämlich in sich. Ich hätte auch noch eine alternative Überschrift. Wie wäre es mit: "Amazon kauft Unternehmen, das ständig das Innere der Wohnungen seiner Käufer*innen analysiert und aufzeichnet"?
Diese Übernahme ist gravierend und sollte uns genauer beschäftigen. Warum? Zunächst einmal sind iRobots Roomba Saugroboter sehr beliebt. Das Unternehmen hat mehrere Dutzend Millionen Saugroboter verkauft. Für viele Menschen sind sie zu einem allgegenwärtigen und scheinbar festen Bestandteil ihres Lebens geworden. Wer will denn noch einen Staubsauger herumschieben müssen, wenn das auch automatisch vonstatten gehen kann?
Amazons Interesse am Kauf eines beliebten Produkts wie Roomba ist aber offensichtlich. Mit der Übernahme von iRobot würde Amazon so viel mehr bekommen als nur ein Saugroboter-Business: neben dem Ausschalten eines starken Konkurrenten nämlich auch einen riesigen Datenbestand sehr sensibler Daten und damit einen neuen Weg in die Häuser und das Leben der Menschen. Dieser Deal beinhaltet schon dann nicht viel gutes, selbst wenn man sich nur darüber Gedanken macht, ob der er den Wettbewerb beeinträchtigt. Amazons eigene Geräte, einschließlich des Astro-Roboters und seiner Echo-Geräte, tun vieles von dem, was das iRobot-Betriebssystem auch tut. Durch diese Übernahme wird der größte Konkurrent für Amazon eliminiert. Amazon erkauft sich den Weg zur Dominanz. Es mag heute auch noch andere intelligente Staubsauger geben, aber diese werden unter Druck geraten, sobald Amazon iRobot besitzt. Wir müssen davon ausgehen, dass Amazon für Roomba dasselbe Preissystem nutzen wird, das es auch für den Verkauf von Echo, Kindle und so weiter einsetzt. Amazon kann so seine Konkurrenten durch Verdrängungspreise aus dem Markt drängen und eine Monopolstellung erlangen. So haben sie es bisher in genau den genannten Businesses gemacht.
Aber dann ist das noch der Punkt Datenerfassung und -nutzung. Die fortschrittlichsten Versionen der Roomba Geräte sammeln Informationen über die Häuser/Wohnungen ihrer Kund*innen, während sie reinigen. Das System weiß, wo die Möbel stehen, wie groß die einzelnen Räume sind und so weiter. Es ist ein Staubsauger und ein Kartierungsgerät. Das ist extrem nützlich für Amazon, ein Unternehmen, das alles über uns Verbraucher*innen wissen will: wo wir leben, wie wir einkaufen, was wir schauen, was wir hören, wonach wir suchen, was wir essen und so weiter. Die Roomba-Daten und der weitere Ausbau dieser in den Händen Amazon sind aus Sicht des Datenschutzes ein Albtraum.
Aber auch aus kartellrechtlicher Sicht handelt es sich um eines der mächtigsten Datenerfassungsunternehmen der Welt, das nun einen weiteren riesigen und aufdringlichen Datensatz erwirbt. Aus dieser Sicht gehen Datenschutzbedenken und Kartellrecht Hand in Hand. Wenn ein Unternehmen, welches seine Kameras und Mikrofone in unseren Lautsprechern, unseren Türklingeln und unseren Sicherheitskameras hat, versucht, das Unternehmen zu kaufen, das die Form und den Inhalt unserer Häuser und Wohnungen kennt, ist das in jeder Hinsicht schlecht.
Diese Übernahme sollte nicht möglich sein. Wann lernen wir das?
Übrigens gehen die Albtraumvorstellungen, in welche Richtung sich Amazon bewegt, noch weiter. In den USA erwirbt Amazon nun One Medical, einen digital sehr versierten Anbieter von Arztpraxen für die Primärversorgung. Nach all den Daten, die Amazon schon kennt, nun auch die Gesundheitsdaten dort? 😱
Amazon just bought my doctor - and that makes me very nervous — www.washingtonpost.com Patients should be very nervous about Amazon buying One Medical.
Und es kommt NOCH besser: Amazon plant tatsächlich eine Reality-Show, die auf Footage der hauseigenen Überwachungstechnologie Ring basiert. Ein dreister Move bei der unaufhörlichen Normalisierung von Überwachungstechnologie.
Wanda Sykes To Host Syndicated Viral Video Show Featuring Ring Doorbell Technology From MGM — deadline.com
Wanda Sykes is knocking on the door of syndication with a new series that features videos taken from Ring doorbells. The comedian is to host Ring Nation, a new twist on the popular clip show genre, from MGM Television, Live PD producer Big Fish Entertainment and Ring. The series, which will launch on September 26, will feature viral videos shared by people from their video doorbells and smart home cameras.
The AI startup erasing call center worker accents: is it fighting bias – or perpetuating it? — www.theguardian.com
Warum ich das wichtig finde?
Ein Startup aus dem Silicon Valley bietet jetzt für Callcenter-Arbeiter*innen auf der ganzen Welt eine neue stimmverändernde Technologien an. Es handelt sich hier um eine sogenannte Voice-Altering-Technologie, welche in der Lage ist, Akzente- und nicht-muttersprachliche Aussprache in „reines English“ zu verwandeln. Zielgruppe: z.B. amerikanische Unternehmen, die ihre outgesourcten Call-Center-Mitarbeiter*innen in Indien, auf den Philippinen und sonst wo nun so klingen lassen können, als säßen sie in Brooklyn.
Ist das eine gute Entwicklung? Oder ist es menschenverachtend?
Sanas touts its own technology as “a step towards empowering individuals, advancing equality, and deepening empathy[…]: one funder, Bob Lonergan, gushed that the software “has the potential to disrupt and revolutionize communication”. But it also raises uncomfortable questions: is AI technology helping marginalized people overcome bias, or just perpetuating the biases that make their lives hard in the first place? […]
[a sociologist has] mixed feelings about Sanas. “In a narrow sense, it’s a good thing for the trainee: they don’t have to be trained as much. It’s not very easy for an immigrant or for a foreigner sitting somewhere else in the world to be not understood because of their accent. And they sometimes get abused. “But in the long view, as a sociologist, it’s a problem.” The danger, Aneesh said, was that artificially neutralizing accents represented a kind of “indifference to difference”, which diminishes the humanity of the person on the other end of the phone. “It allows us to avoid social reality, which is that you are two human beings on the same planet, that you have obligations to each other. It’s pointing to a lonelier future.” […]
“Hearing it closely, I realized that there was a hint of emotion, politeness and sociality in the original caller’s voice,” he replied. That was gone in the digitally transformed version, “which sounds a bit robotic, flat and – ahem – neutral”.
Elon Musk's Flawed Vision and the Dangers of Trusting Billionaires — time.com
Warum ich das wichtig finde?
Dies ist ein interessanter kritischer Artikel über Elon Musk, von Paris Marx im Time Magazine veröffentlicht. Bringen uns Visionen und Pläne von Milliardären als Menschheit weiter? Hint: nein.
Make no mistake: there is a need for people to think about the future and what a better one looks like, especially as we face serious challenges like the climate crisis. But we also need to question the idea of “progress” being sold to us and who it ultimately benefits. The tech industry enjoys casting itself as our savior, delivering empowerment and convenience, but along with it has come an unprecedented expansion of surveillance, an erosion of workers’ rights, and the empowerment of white nationalist and fascist groups. For years, Elon Musk sold us fantasies to distract from the reality of the future he’s trying to build, and to get people to accept his growing belligerence. What we really need right now is not more cars, colonization dreams, and technokings, but a collective project to improve the lives of billions of people around the world while taking on the immediate challenges we face regardless of whether it generates corporate profits. That’s something Elon Musk can never deliver.
Ein weiteres Highlight (oder Lowlight): Musk gab zu, dass es bei bei seinem Projekt Hyperloop vor allem darum ging, die Gesetzgeber*innen dazu zu bringen, die Pläne für eine Hochgeschwindigkeitszugstrecke in Kalifornien aufzugeben. Er hatte keinerlei Pläne, eine Hyperloop wirklich zu bauen. Interessante Bemerkung in diesem Zusammenhang: Musk sagte, der öffentliche Nahverkehr sei
“a pain in the ass” where you’re surrounded by strangers, including possible serial killers
(!) ... ein wunderbares Menschenbild...
Wo dieses Nugget von der Hyperloop als Rauchbombe herkommt? Aus dem Buch "Elon Musk - Tesla, SpaceX and the Quest for a Fantastic Future":
Musk had been thinking about the Hyperloop for a number of months, describing it to friends in private. The first time he talked about it to anyone outside of his inner circle was during one of our interviews. Musk told me that the idea originated out of his hatred for California’s proposed high-speed rail system. “The sixty-billion-dollar train they’re proposing in California would be the slowest bullet train in the world at the highest cost per mile,” Musk said. “They’re going for records in all the wrong ways.” California’s high-speed rail is meant to allow people to go from Los Angeles to San Francisco in about two and a half hours upon its completion in - wait for it - 2029. It takes about an hour to fly between the cities today and five hours to drive, placing the train right in the zone of mediocrity, which particularly gnawed at Musk. He insisted the Hyperloop would cost about $6 billion to $10 billion, go faster than a place, and let people drive their cars onto a pod and drive out into the new city. At the time, it seemed that Musk had dished out the Hyperloop proposal just to make the public and legislators rethink the high-speed train. He didn’t actually intend to build the thing. It was more that he wanted to show people that more creative ideas were out there for things that might actually solve problems and push the state forward. With any luck, the high-speed rail would be canceled. Musk said as much to me during a series of e-mails and phone calls leading up to the announcement. “Down the road, I might fund or advice, on a Hyperloop project, but right now I can’t take my eye off the ball at either SpaceX or Tesla,” he wrote.
Noch mehr Inspiration und Lesestoff
Deepfakes for all: Uncensored AI art model prompts ethics questions — techcrunch.com
Die atemberaubenden Fortschritte bei bildergenerierender KI treiben immer neue Blüten. Nachdem die sozialen Medien durch immer neue kreative Outputs von Dall-E 2 geflutet wurden (hier ein paar Highlights), das Open Source System Stable Diffusion ist völlig frei nutzbar, mit all den negativen Folgen... es scheint ausgiebige Nutzung für Deepfake Porn-Content stattzufinden.
Das Thema Text-to-Image KI ist extrem spannend und bedeutend. Ich werde diesem in der nächsten Ausgabe des Newsletters deutlich mehr Raum widmen.
Datenschutz: Viele Menstruations- und Schwangerschaftsapps erfassen sensible Daten — netzpolitik.org
Ein Forschungsprojekt deckt auf, dass Menstruations- und Schwangerschaftsapps teils höchst sensible Daten sammeln und mit Dritten teilen. Mozilla nennt die Ergebnisse „düster“: Die Nutzungsdaten gelangen etwa an Facebook und möglicherweise auch an US-Strafverfolgungsbehörden.
This Is the Data Facebook Gave Police to Prosecute a Teenager for Abortion — www.vice.com
Und hier geht es weiter mit den heiklen Daten aus Ovolations-Apps (siehe oben). Motherboard hat Gerichtsdokumente eingesehen, aus denen hervorgeht, dass Facebook Polizeibehörden die privaten Chats einer Teenagerin über ihre Abtreibung zur Verfügung gestellt hat. Die Polizist*innen nutzten diese Chats dann, um ihr Telefon und ihren Computer zu beschlagnahmen.
TikTok’s $4 Billion Advertising Machine Is Messy Behind the Scenes — www.theinformation.com
Hier gibt es einen sehr interessanten Blick in TikToks Werbe-Business. Das ist schon unangenehm genug. Aber ich horchte über diese Passage hier besonders auf:
Last year, TikTok stopped allowing questions from employees at its weekly meetings. The reason? Their questions about burnout, remote work and compensation had become too negative, management claimed, according to current and former employees.
I Didn’t Want It to Be True, but the Medium Really Is the Message — www.nytimes.com
Ein wichtiges Essay von Ezra Klein, Kolumnist bei der New York Times. Hier gibt es eine interessante Referenz zu Jonathan Haidt, einem Sozialpsychologen, der Daten darüber gesammelt hat, wie soziale Medien Teenagern schaden. Es sagt:
“People talk about how to tweak it — oh, let’s hide the like counters. Well, Instagram tried — but let me say this very clearly: There is no way, no tweak, no architectural change that will make it OK for teenage girls to post photos of themselves, while they’re going through puberty, for strangers or others to rate publicly.”
Eine Einordnung von Klein:
He’s arguing three things. First, that the way Instagram works is changing how teenagers think. It is supercharging their need for approval of how they look and what they say and what they’re doing, making it both always available and never enough. Second, that it is the fault of the platform — that it is intrinsic to how Instagram is designed, not just to how it is used. And third, that it’s bad. That even if many people use it and enjoy it and make it through the gantlet just fine, it’s still bad. It is a mold we should not want our children to pass through.
Lena @ Things Of Interest: Working with the MMAcevedo human brain scan — qntm.org
Dies ist eine sehr packende kleine Science Fiction Geschichte über auf Computern ausführbare Hirn-Scans von Menschen. Im Zentrum: MMAcevedo (Mnemonic Map/Acevedo), auch bekannt als Miguel, ist das früheste ausführbare Image eines menschlichen Gehirns. Es ist eine Momentaufnahme des lebenden Gehirns des Neurologie-Absolventen Miguel Álvarez Acevedo (gelebt von 2010-2073), die von Forschenden des Uplift Laboratory an der Universität von New Mexico am 1. August 2031 aufgenommen wurde.
Chilling!
The Metaverse Real Estate Boom Turns Into a Bust — www.theinformation.com
Investor*innen, die Metaverse-Grundstücke in der Hoffnung gekauft haben, sie an Einzelhändler*innen zu verpachten, müssen gerade mit ansehen, wie der Wert dieser "Immobilien" massiv einbricht. Denn "das Metaverse" befindet sich inmitten des Platzens einer Immobilienblase. Die Verkaufsvolumina und Durchschnittspreise für virtuelle Grundstücke sind in diesem Jahr stark gesunken und Teil eines allgemeinen Preisverfalls bei Kryptowährungen und NFTs.
Abteilung "Gesellschaft, quo vadis?"
This heatwave has eviscerated the idea that small changes can tackle extreme weather — www.theguardian.com
Warum ich das wichtig finde?
Weil es sich hier um eine sehr offene, "no bullshit" Betrachtung der Ableitungen der extremen Hitzewelle handelt, in der Europa auch jetzt immer noch steckt. Gefährliche Hitze wird zur Norm. Die Systeme welche unser Leben bestimmen und organisieren müssen dringend geändert werden - und das Schweigen muss gebrochen werden, sagt Guardian-Kolumnist George Monbiot.
Über die Rolle neoliberaler und konservativer Politik:
But while they have been playing patience, power has been playing poker. The radical right insurgency has swept all before it, crushing the administrative state, destroying public protections, capturing the courts, the electoral system and the infrastructure of government, shutting down the right to protest and the right to live. While we persuaded ourselves that there is no time for system change, they proved us wrong by changing everything. […]
All this time, environmentalists have been telling people we face an unprecedented, existential crisis, while simultaneously asking them to recycle their bottle tops and change their drinking straws. […]
Some of us know what we want: private sufficiency, public luxury, doughnut economics, participatory democracy and an ecological civilisation. None of these are bigger asks than those the billionaire press has made and largely achieved: the neoliberal revolution that has swept away effective governance, effective taxation of the rich, effective restraints on the power of business and oligarchs and, increasingly, effective democracy.
Energieknappheit: Energiewirtschaft: CSU für Notlage in Bayern verantwortlich — www.zeit.de
Warum ich das wichtig finde?
Erstaunlich: Vor dem Hintergrund der sich immer weiter zuspitzenden Energieknappheit hat der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) die CSU (!) für die Notlage in Bayern verantwortlich gemacht.
«Die Bayerische Staatsregierung ist in den letzten beiden Jahrzehnten in Sachen Energieversorgung immer den leichtesten Weg gegangen», sagte Hauptgeschäftsführer Detlef Fischer [...] und zählte auf: «Kernkraftwerke abgeschaltet, Stromtrassen als Monsterbauwerke bezeichnet, Pumpspeicherkraftwerke verhindert und den Windkraftausbau verzögert.» Fischer warf der Staatsregierung vor, Angst vor der Bevölkerung gehabt zu haben. «Sie hatte Angst vor dem Wutbürger, der gegen alles ist, was ihn irgendwie betrifft. Das war die Koalition mit dem Bürger à la Seehofer», sagte er.
Friedrich Merz zu Cancel Culture: Größte Bedrohung für Meinungsfreiheit — www.rnd.de
Warum ich das wichtig finde?
Weil es sich hier um das Thema dreht, welches - neben dem Ukraine-Krieg und der dadurch induzierten, bzw. sichtbar gewordenen Energiekrise - gesellschaftlich enorm beschäftigt. Und weil dieses Thema mit den anderen zusammenhängt. Es geht um die leidige Debatte über die Cancel Culture. Diese stellt für mich vor allem eine Reaktanz konservativer Menschen auf die sich immer weiter beschleunigende Tranformation, bzw. Transformationsnotewendigkeit dar.
Friedrich Merz äußert sich meiner Meinung nach sehr bedenklich in dieser Angelegenheit. Cancel Culture und die Wehklagen darüber werden übrigens alle paar Wochen in ein neues Gewandt gehült. Hier in den Beispielen geht es vor allem um die Irritationen rund um den Vortrag von Marie-Luise Vollbrecht an der Humboldt-Universität zum Thema Geschlechteridentität und biologisches Geschlecht. Die neue Version der Debatte hat sich in den letzten zwei Wochen rund um das Thema Winnetou und Karl May gelegt.
„Die größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit ist aus meiner Sicht inzwischen die Zensurkultur, die man im angelsächsischen Sprachgebrauch auch ‚Cancel Culture‘ nennt“, sagte der Unionsfraktionschef im Interview mit der „Welt“. [...]
Der CDU-Chef wirft linken Aktivisten vor, den Begriff „Kampf gegen rechts“ zu missbrauchen, um „gegen völlig legitime Meinungen des demokratischen Spektrums“ oder „wissenschaftliche Erkenntnisse“ vorzugehen. Außerdem sieht Friedrich Merz die „Cancel Culture“ aus den USA nach Europa schwappen. Das jüngste Beispiel dafür sei der Geschlechtervortrag einer Biologin an der Humboldt-Universität in Berlin gewesen, der nach Drohungen einiger Studenten und Studentinnen von der Universität zunächst abgesagt, später aber dann unter Sicherheitsvorkehrungen doch nachgeholt worden war. „Das ist das Gegenteil von Wissenschaftsfreiheit und legt die Axt an eine der wichtigsten Errungenschaften einer aufgeklärten Gesellschaft“, betonte Merz.
Zu diesem Vortrag eine Einordnung:
Humboldt-Uni: Vortrag abgesagt - Biologin Vollbrecht vollzieht Täter-Opfer-Umkehr — www.fr.de Die Humboldt-Uni sagt einen Vortrag der Biologin Vollbrecht ab. Die Medizinsoziologin Mahr spricht im Interview über die Hintergründe und rechte Strukturen.
Auszug:
Ich denke, es geht und ging in diesem Vortrag nicht um Argumente oder wissenschaftliche Thesen. Der Vortrag war und ist vielmehr Bestandteil einer regressiven Kommunikationsstrategie jener Akteur:innen, denen die (bis jetzt noch) bestehende Offenheit unserer Gesellschaft ein Dorn im Auge ist. Frau Vollbrecht, ihre Mitautor:innen des queer-feindlichen Gastbeitrags in der Springer-Zeitung Die Welt sowie deren „flying monkeys“ der sogenannten „Siff-Twitter-Bubble“ (Zusammenschluss aus Nutzern, die nur trollen und verbrannte Erde hinterlassen, K.T.) zielen darauf ab, trans* Menschen, Sexarbeiter:innen und Menschen mit Behinderung als „die anderen“, „die gefährlichen“, die „degenerierten“ zu labeln. Beispielsweise werden von solchen Accounts Menschen wie die Journalistin Georgine Kellermann und der Behindertenaktivist Raul Krauthausen als „pädophiler Mann im Kleid“ oder „funktionsloser Raumstaubsauger“ bezeichnet. Häufig bedrohen und provozieren diese Zirkel auch jüngere queere Menschen in den sozialen Netzwerken.
Eine sehr gute Einordnung des Stanford Professors Adrian Daub zum Thema Cancel Culture und der immer stärker werdenden Faszination in deutschen konservativen Kreisen, diesen Begriff zu prägen und zu instrumentalisieren:
Adrian Daub: Der kurze Weg von der Lappalie zur Cancel Culture — www.woz.ch Die hiesige Medienlandschaft ist geradezu süchtig nach der Erregung über die Zustände an US-Universitäten. Stanford-Professor Adrian Daub kann sich denken, warum das so ist.
Lutz Böhm hat diesen überspitzten, aber in meinen Augen absolut zutreffenden Ablauf skizziert, der sehr gut beschreibt, wie das alles funktioniert:
A: "Das, was Sie sagen, verletzt meine Gefühle."
B: "Heutzutage darf man ja gar nichts mehr sagen."
A: "Sie dürfen alles sagen, ich teile Ihnen nur mit, dass es mich und vielleicht auch andere verletzt."
B: "Ich werde gecancelt, aaaah!"
A: "Sie werden nicht gecancelt, ich teile Ihnen nur mit, dass Sie es bewusst in Kauf nehmen, anderen mit Ihren Worten weh zu tun, wenn sie es weiterhin sagen."
B: "Cancel Culture aus der linken Woke Bubble, aaaah! Die größte Bedrohung unserer Demokratie, aaaah!"
C-J: "Hier, B, nimm unsere Spende, um dich juristisch gegen A zu wehren!"
K: "Hier, B, ein Buchvertrag, um zu sagen, was man nicht mehr sagen darf."
L: "Hier, B, möchtest du vielleicht eine Platte aufnehmen, um zu singen, was man nicht mehr sagen darf?"
M-O: "Aber B darf es doch offensichtlich sagen und bekommt auch den medialen Zugang dafür. Was ist mit A?"
Plasberg: "B, erzählen Sie uns Ihre furchtbare Geschichte der Unterdrückung, die Sie psychisch so sehr belastet!"
Q-Y:"Früher hat es doch auch niemanden gestört!"
A wird bedroht, Leute posten Bilder des Hauses, Steine werden geworfen. Ein einsamer, sehr wütender junger Mann Z nimmt die Jagdwaffe von Onkel Heinz, geht los, erschießt A.
Medien: "Der arme Z, der von der Gesellschaft vergessen wurde, hat praktisch in Notwehr gehandelt!"
Hier gibt es noch mehr dazu. Der Account hat einen recht "dodgy" Namen, aber die Mechanismen des aktuellen Debattenframings werden gut und klar und deutlich beschrieben.
Ganz frisch noch: Die BILD will jetzt sogar noch eine fast 20 Jahre alte künstlerische Entscheidung von Die Ärzte umdeuten und skandalisieren:
Geheuchelte Aufregung über Ärzte-Song „Elke“: Wie die „Bild“ Cancel-Culture-Debatten herbeifantasiert — www.tagesspiegel.de Die Ärzte spielen ihren Song „Elke“ nicht mehr, berichtet die „Bild“ aufgeregt. Interessant ist eher, was die Zeitung alles verschweigt. Eine Einordnung.
Die Behauptung, Sänger Farin Urlaub habe „jetzt“ ein „Machtwort“ gesprochen, ist völliger Unsinn, befriedigt aber in Zeiten von „Layla“ und „Winnetou“ das Empörungsbedürfnis derer, die sich darüber aufregen möchten, dass man heute ja praktisch gar nichts mehr sagen dürfe.
Verrohtes Russland – eine Gesellschaft der Gewalt — www.faz.net
Warum ich das wichtig finde?
Weil das hier ein unfassbarer Bericht über das Thema Gewalt und Normalisierung von Gewalt in der russischen Gesellschaft ist, der mich hat frösteln lassen. Ob in populären Liedern, Gefängnissen, Waisenhäusern, Kliniken, privaten Haushalten oder in der Armee – gewaltförmige Beziehungen bestimmen das gesellschaftliche Leben in Russland.
Mit fast einer halben Million Menschen hinter Gittern hat Russland immer noch die meisten Häftlinge und die höchste Inhaftierungsrate in Europa. [...] Der größte Anteil der Insassen, 27,8 Prozent, wurde wegen Mordes oder Totschlags verurteilt. Einer Studie zufolge waren zwischen 1992 und 2007 mehr als 15 Millionen Russen im Strafvollzug – das ist etwa ein Viertel der erwachsenen männlichen Bevölkerung. 2007 waren nach der Berechnung des Magazins „Kommersant-Wlast“ 18,2 Prozent der Bevölkerung vorbestraft. Der Anteil ehemaliger oder aktueller Straftäter ist vorhersehbar höher in den ärmsten Regionen des Landes. Diese Regionen schicken auch die meisten Wehrpflichtigen und Zeitsoldaten in die Ukraine. [...]
300 000 Menschen verlassen jährlich russische Haftanstalten, das Strafvollzugssystem fungiert wie eine Brutstätte einer kriminellen Kultur, die in jede Institution der russischen Gesellschaft eindringt und sich außerhalb der Gefängnisse durch Sprache, Gewaltpraktiken und spezifische kriminelle Dogmen reproduziert, die an die Stelle der insgesamt wackeligen ethischen und rechtlichen Normen treten. Gewalt durchdringt alle Bereiche des russischen Lebens: von der Familie bis zur Schule, von professionellen Sportvereinen bis zu Entbindungsstationen, wo Frauen der Willkür des Personals ausgeliefert sind, das sie oft als seelenlose Gebärmaschinen behandelt, und natürlich auch bis in die Armee. [...]
Die Sprache trägt ebenfalls dazu bei, kriminelle Normen in die Mehrheitsgesellschaft einzuschleusen. Der kriminelle Jargon fand seinen Weg in die Alltagssprache und verseuchte die Medien und die politische Rhetorik. Diese Entwicklung der Sprache erhielt einen kräftigen Schub Anfang der 2000er-Jahre, als die Kriminalität verstaatlicht und nicht, wie die Propaganda behauptet, von Putin nach den „turbulenten Neunzigerjahren“ besiegt wurde. [...]
Indem die russische Führung der Welt den Mittelfinger zeigt, emanzipiert sie sich von jeglicher Scham und Ethik. Zynismus und Gewaltbereitschaft bleiben ihr einziges Idiom. „Wir schämen uns nicht“ ist der neue Leitsatz des Krieges gegen die Ukraine, der vom Außenminister und von den eifrigen Befürwortern des Krieges on- und offline verbreitet wird.
The Billionaire’s Dilemma — www.theatlantic.com
Warum ich das wichtig finde?
Das ist ein schönes Beispiel für die Heuchelei von Milliardären, hier am Beispiel Marc Andreessen. Generell behauptet er, er stehe für die Forderung nach mehr neuem Wohnraum und Anstrengungen die Wohnungsknappheit zu beseitigen. So wetterte er gegen Städte wie San Francisco, weil sie es versäumten, mehr Wohnungen zu bauen. Aber die öffentlichen Aufzeichnungen, die hier gefunden wurden, sprechen eine andere Sprache. Aber als an seinem eigenen Wohnort, der von extremem Wohlstand geprägten Stadt Atherton im Silicon Valley eine Änderung des Bebauungsplans vorschlagen war, um eine kleine Anzahl von Mehrfamilienhäusern zu erlauben, schrieben Andreessen und seine Frau dies:
Subject line: IMMENSELY AGAINST multifamily development!
I am writing this letter to communicate our IMMENSE objection to the creation of multifamily overlay zones in Atherton … Please IMMEDIATELY REMOVE all multifamily overlay zoning projects from the Housing Element which will be submitted to the state in July. They will MASSIVELY decrease our home values, the quality of life of ourselves and our neighbors and IMMENSELY increase the noise pollution and traffic.
Nachhaltigkeit ist kein Business Case — digitaletanzformation.wordpress.com
Warum ich das wichtig finde?
Ein wichtiges Thema: was ist der Antrieb von Unternehmen auf dem Weg zu mehr nachhaltigem Handeln und Wirtschaften? Viele bemühen häufig den sogenannten Business Case, um ihre Motivation und Ambition in Sachen Nachhaltigkeit und "Diversity & Inclusion" zu begründen. Robert Franken sagt, dass diese Argumentation ebenso gefährlich wie unzureichend sei. Es brauche neue Ambitionslogiken und Möglichkeitsräume für die Zukunftsgestaltung. Ich finde, er hat Recht.
Unternehmen realisieren zunehmend, dass ihr Verantwortungsbereich erheblich größer werden muss als dies bisher der Fall war. Statt sich jedoch unmittelbar mit den Ursachen und den eigenen Einflussbereichen und Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit diesen Ursachen zu beschäftigen, verfallen viele Unternehmen und Industrien in einen ebenso kurzsichtigen wie gefährlichen Modus des Aktionismus. Bei den Nachhaltigkeits-Bestrebungen eines Großteils der Unternehmen haben sich Nebenschauplätze herausgebildet, auf denen sehr schnell auf Maßnahmenebene agiert wird. Es werden Rituale etabliert, die den Eindruck erwecken sollen, man nehme sich der Herausforderungen an und arbeite an konkreten Lösungen. Diversity & Inclusion ist ein Beispiel für einen solchen Nebenschauplatz.
Privilege and Pro-Office Pablum — ez.substack.com
Warum ich das wichtig finde?
Das sind ein paar harte Worte (wie immer bei Ed Zitron) über das Thema Arbeits- und Bürokultur, und natürlich Präsenzarbeit und Homeoffice. Ich finde das spannend - welche Rolle spielt die Anwesenheit für das Verfestigen bestimmter Erfolgs- und Machtnarrative? Zitron meint: eine sehr große.
Remote work creates such powerful cognitive dissonance because it takes away the performative part of the narrative of the successful. [...] When you break down their narratives, many of these successful people were privileged and lucky - born at a time when there was less competition for jobs, or able to borrow money from their parents (see: Elon Musk and Jeff Bezos), or able to get into an ivy league school, or justhappened to meet the right person (Wozniak and Jobs at HP). Their hard work is not irrelevant, nor is their intellect, but if they have to admit that their successes were a creation of them being in the right place at the right time and able to perform the necessary thing to progress, suddenly everything feels less satisfying. [...]
Of course Gladwell hates remote work, because it simmers down what you do at your job to what you actually do at your job. Gladwell is scared because a workforce that doesn’t go to an office does not involve itself in office culture, which means fewer acolytes that will buy that the successful are there because they are hard-working and “need to be around people.” [...]
Remote work has made a lot of managers and executives realize that they have no idea what actual work is or why anyone does it. They have never had to consider what motivates workers beyond fear and social judgment because the office was an effective hegemonic tool, creating “office culture” where nobody asked whether managers or executives were working hard. The office allowed power structures to be established and empowered by turning workers against themselves, often creating cultures of snitching about “lazy” workers or “those who weren’t working hard.” It allowed companies to evaluate outputs but not evaluate those creating them, making managers and executives think they’re responsible. [...]
„Wir schütteln nur den Kopf darüber“ — zeitung.faz.net
Warum ich das wichtig finde?
Hier geht es um den vor einigen Wochen erfolgten Aufruf unter dem Titel „Wissenschaftler kritisieren Genderpraxis des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ der Initiative „Lingustik vs. Gendern“. Gefordert werden darin eine kritische Neubewertung des angeblich auf Gendergerechtigkeit ausgerichteten Sprachgebrauchs im ÖRR und eine Abkehr davon. Die Zahl der Unterzeichnenden steigt. Sie sind in zwei Listen eingeteilt, auf der ersten stehen diejenigen, die sich als (mindestens) studierte Philologen bezeichnen. Darunter sind bisher rund 28 Prozent Frauen. Der Aufruf setzt auf wissenschaftliche Qualifikationen der Unterstützer und Bezüge zur Linguistik. Damaris Nübling ist Professorin für Sprachgeschichte an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Expertin für Genderlinguistik. Hier ist ihre Einschätzung zu diesem Aufruf und seiner Stichhaltigkeit. Tenor: hier gibt es ganz viel Befindlichkeit und Vertreter*innen aus der relevanten Forschungscommunity sind auch nicht dabei.
Diejenigen, die den Aufruf unterzeichnet haben, repräsentieren nicht die in Forschung und Lehre aktive germanistische Linguistik. Einige Linguisten und Linguistinnen sind dabei, aber die große Mehrheit hat in der Linguistik nie gearbeitet, nie publiziert. [...] Wir schütteln nur den Kopf darüber, dass immer wieder dieselben Argumente, die oft keine sind, und Unterstellungen aufgewärmt werden. Die aktive Linguistik interessiert sich kaum für diese Debatten im Feuilleton, sie steht ganz woanders. Große Teile der linguistischen Community äußern sich nicht, weil die öffentliche Diskussion nicht sonderlich anregend ist. Sie tritt seit Jahrzehnten auf der Stelle. [...]
In der Tat sind viele davon keine Fachleute für germanistische Linguistik. Die bräuchte es aber, es geht hier ja ums Deutsche. Für die Punkte, um die der Aufruf kreist – etwa das Verhältnis zwischen Genus und Geschlecht –, ist die Genderlinguistik zentral. Aus der ist aber niemand vertreten. Unter den Unterzeichnenden sind auch viele Emeriti und Pensionierte. [...]
Viele bringen sich in eine Opferposition, behaupten, ihnen würde eine neue Sprache vorgeschrieben. Niemand schreibt ihnen etwas vor, niemand muss seine Sprache ändern. Aber die jüngere Generation ist an inklusiverem Sprechen interessiert und praktiziert dies, auch im ÖRR. Das erzeugt bei traditionell Sprechenden einen gewissen Druck, der sie verunsichert. Doch es gibt auch im ÖRR keinen Zwang, sondern Empfehlungen. [...] Wir sollten uns alle in Toleranz üben, Argumente zur Kenntnis nehmen und die Bemühungen um geschlechtersensibles Sprechen nicht abwerten. [...]
[die] Argumentation ist wenig wissenschaftlich. Die meisten Quellen sind Zeitungsartikel, in denen Meinungen verhandelt werden, sehr wenige davon beziehen sich auf wissenschaftliche Forschung.
Privat-TV: »Gefährlicher als Kernenergie« — www.spiegel.de
Warum ich das wichtig finde?
Weil es sich hier um etwas ganz besonderes handelt. Einen Artikel im SPIEGEL aus dem Jahr 1979. Bundeskanzler Helmut Schmidt erwog damals, den Streit um private Fernsehprogramme zum Wahlkampfthema 1980 zu machen. Die geplante Verkabelung von Städten ist war damals vorerst gestoppt... um die "Bürger vor den schädlichen Einflüssen einer Reizüberflutung zu schützen". Die SPD hegte den Plan, notfalls das Grundgesetz zu ändern.
Was ich bemerkenswert finde, und erstaunlich weitsichtig und scharf schlussfolgernd, ist folgende Passage:
Um an seinem Standpunkt ja keinen Zweifel aufkommen zu lassen, zog der Regierungschef einen gewagten Vergleich: »Wir dürfen nicht in Gefahren hineintaumeln, die akuter und gefährlicher sind als die Kernenergie.« Würden die Bürger mit privaten Kabel- oder Satellitenprogrammen überflutet, dann könnte dies, so Schmidt, »die Strukturen der demokratischen Gesellschaft verändern«.
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Noch mehr Lesestoff und Inspiration
More than 90% of identifiable trash in North Pacific Garbage Patch comes from just six countries — phys.org
Ein Forscherteam des Ocean Cleanup-Projekts und der Universität Wageningen, beide in den Niederlanden, hat anhand von Probenahmen und Tests herausgefunden, dass mehr als 90 % des identifizierbaren Mülls, der im Nordpazifischen Müllteppich (NPGP) umherwirbelt, aus nur sechs Ländern stammt, die alle große Industrienationen sind: Japan, China, Südkorea, USA, Taiwan, Kanada.
Globalisierung: Chinas Druck auf ausländische Unternehmen wächst deutlich — www.faz.net
Immer mehr rote Linien für „missliebiges Verhalten“.
Früher habe es traditionelle „rote Linien“ gegeben, etwa wenn Fragen der nationalen Souveränität, menschenrechtsfragen in Tibet oder Xinjiang oder Gebietsansprüche im südchinesischen Meer berührt wurden. Unternehmen würden jetzt aber schon bei „neuen roten Linien“ unter Druck gesetzt – etwa bei missliebigen Äußerungen über die Entstehung des covid-Virus oder Sanktionen gegen chinesische Unternehmen wie im Fall von Huawei beim Ausbau der 5g-Kommunikationsnetze. Dabei nutze Peking ein ganzes Bündel an Bestrafungsmaßnahmen, […]
Germany’s surprising and sudden embrace of vegan food — www.vox.com
Der Fleischkonsum ist in Deutschland in den letzten zehn Jahren um 12 % gesunken, von 63 kg pro Person im Jahr 2011 auf heute 55 kg. Die Ursachen für die neu entdeckte Vorliebe der Deutschen für pflanzliche Lebensmittel zu verstehen, könnte entscheidend sein, um herauszufinden, wie man den Klimawandel verlangsamen kann - Fleisch und Milchprodukte sind für rund 15 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Zum Ansehen
Ein wichtiger und brillanter Vortrag von Emily Maitlis, der bekannten britischen Journalistin, Filmemacherin und Nachrichtensprecherin. Sie spricht darüber, warum der Journalismus zu spät in der Auseinandersetzung mit dem neu erstarkten Populismus aufgewacht ist und was jetzt zu tun ist. Und wie sehr dabei der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Druck steht. Eine Rede, die sich jede*r, die/der an einer gesunden Demokratie interessiert ist, unbedingt ansehen sollte.
Hier gibt es eine sehr wertvolle Einordnung zur Rede bei Übermedien.
Kennt ihr den "Public Intellectual" Jordan Peterson? Ich habe das Jordan Peterson Phänomen, den Hype um seine Person, nie wirklich verstanden. Dieses Video (sorry, es ist 3h lang) ist die akribistsche "Zerstörung" eines Scharlatans, die ich je gesehen habe. Der Mann ist ein intellektueller Supergau, keiner seiner Fakten stimmt, keiner seiner Gedanken ist kohärent - aber er ist Bestsellerautor und von Millionen Menschen verehrt. Ja, diese Aufarbeitung ist sehr lang, aber auch sehr sehenswert: 👇
Mehr als eine Milliarde Menschen nutzen Instagram. Über 100 Millionen Fotos werden jeden Tag gepostet. Die App ist ein Muss im Urlaub oder beim Restaurantbesuch. Doch was sagt das Netzwerk über die Gesellschaft und seine Individuen aus? Instagram prägt das Leben, standardisiert Geschmäcker, stellt ökonomische Gewissheiten in Frage und verändert den Bezug zur Realität. arte hat hier eine erstklassige Dokumentation, die man gesehen haben sollte. Vor allem, wenn man Kinder hat (erst Recht, wenn diese im Teenager-Alter sind, bzw. dieses bald erreichen):
arte: Instagram - Das toxische Netzwerk — www.arte.tv
Zum Hören
Podcast: Kreuz und Flagge - Jan 6th Committee Hearings (Teil 1) — open.spotify.com
In Deutschland nicht wirklich intensiv beachtet, finden in den USA die Anhörungen des Untersuchungsausschusses zum 6. Januar, zum Angriff auf das Kapitol, statt. Hier gibt es im Podcast Kreuz und Flagge der wunderbaren Annika Brockschmidt eine ausführliche Analyse mit ungeheuerlichen Insights. Es gibt zwei Teile. In Teil 1 geht es darum, wie sich der Untersuchungsausschuss überhaupt zusammensetzt, wer diese Leute sind, und es gibt einen Überblick über die insgesamt acht Anhörungen. In Teil 2 geht es um die Ziele des Ausschusses und es gibt viele schockierende Details darüber, wie sich dieser versuchte Staatsstreich über Wochen und Monate entfaltet hat. Das ist sehr wertvoll - aber es hinterlässt auch einen leider sehr pessimistischen Blick in die Zukunft der USA.
Podcast: Tech won't save us - The Dangers of Tech that Tracks Everything We Do with Shoshana Wodinsky — open.spotify.com
Paris Marx diskutiert mit Shoshana Wodinsky darüber, wie die digitale Infrastruktur, die Unternehmen in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben, um alles, was wir tun, zu verfolgen, um uns Werbung zu liefern, uns gefährdet und wie dies seit der Aufhebung des Abtreibungsrechts in den USA durch Roe v Wade in den Fokus gerückt ist. Shoshana Wodinsky ist Datenschutzreporterin bei Gizmodo.
Podcast: Citations needed: The 'Last $100 in Your Bank Account' Economy - How Media's Love Affair with Crypto, NFTs and Gambling Prey Upon Working People — open.spotify.com
NFTs mögen auf viele Menschen wie Modeerscheinungen wirken. In den letzten Jahren aber haben die US-Medien atemlos über eine neue Wirtschaft mit digitalen "Investitionsmöglichkeiten" und Vermögensspekulationen berichtet. Von Kryptowährungen bis hin zu NFTs, von Sportwetten bis hin zu Online-Streaming-Casinos preisen sowohl Wirtschaftsblätter als auch alte Zeitungen die Vorzüge eines Finanzklimas an, in dem scheinbar jeder mit einem Internetanschluss, einem Smartphone und ein paar Dollar die Chance hat, reich zu werden. Hier wird das die "Wirtschaft der letzten 100 Dollar auf deinem Bankkonto" genannt. Irgendjemand ist der Meinung, dass auf den Bankkonten der Arbeitnehmer*innen und der Mittelschicht zu viel brachliegendes Geld liegt, das nicht richtig genutzt wird.
In dieser Folge von Citations Needed wird auf die Geschichte der Medien eingegangen, die Lotterien und andere Formen des Glücksspiels unterstützen; wie die Presse die Öffentlichkeit, vor allem finanzschwache Menschen, dazu bringt, neue Formen des Glücksspiels und Spekulationsinstrumente wie NFTs und Kryptowährungen als normal, unvermeidlich und vielversprechend zu akzeptieren. Und wie sie in diesem zynischen, unendlich regressiven Universum, in dem sie den letzten Dollar aus ihren Bankkontos herausholen, Kasse machen. Zu Gast ist Edward Ongweso, Jr., Journalist bei Motherboard. Ein wirklich wertvolles Gespräch!
Daten, Chips, freies Internet - Wie sich USA, China und EU in der digitalen Geopolitik positionieren — www.deutschlandfunk.de
China, die USA und Europa stehen nicht nur politisch in einem globalen Wettbewerb, sondern auch digital: Wer modernste Chips produzieren kann, wer die Regeln des Internets bestimmt, ist im strategischen Vorteil. Die Zeit der westlichen Vorherrschaft scheint dabei zu Ende zu gehen. Hier gibt es eine ca. 18-minütige erstklassige Bestandsaufnahme hierzu von Johannes Kuhn.
Zum Lesen
Ben Rhodes - After the Fall: Being American in the World We've Made — www.goodreads.com
Why is democracy so threatened in America and around the world? And what can we do about it? A former White House aide and close confidante to President Barack Obama -- and New York Times bestselling author of The World as It Is -- travels the globe in a deeply personal, beautifully observed quest for answers.
Was ich an guten Sachbüchern mag, ist, wenn sie unterhalten und gleichzeitig die Welt interpretieren können. Vor kurzem habe ich das neue Buch von Ben Rhodes gelesen, einem ehemaligen Redenschreiber von Barack Obama. In "After the Fall" sucht Rhodes nach den tieferen Ursachen für die Schwäche der offenen Gesellschaft und greift dabei auf Beobachtungen über die politische Situation in den Vereinigten Staaten, Ungarn, Russland und anderen Ländern zurück. Diese Beschreibung der Krise hat mich nicht gerade in eine gute Stimmung versetzt (vor allem während meines Sommerurlaubs), aber sie bringt drei kritische Fragen auf den Punkt, deren Lösung für die Zukunft unserer liberalen Demokratie entscheidend ist:
1) Wir müssen die extreme Ungleichheit, welche in unseren seit mehr als 70 Jahren prosperierenden westlichen Gesellschaften völlig überbordet, regulieren.
2) Gesetze müssen sowohl für Superreiche und unbedingt im digitalen Raum gelten.
3) Bildung und Gesundheitsversorgung dürfen nicht zunehmend wohlhabenden Menschen vorbehalten sein.
Dies und Das
Über Freiheit:
Über Meinungsfreiheit:
Wow, was für eine treffende Vorhersage von Carl Sagan:
Über Trump und das FBI:
Wovor Angst haben?
Wie sehr stehen wir Menschen wirklich auf Herausforderungen?
Lustiger wird's diese Woche nicht:
Und noch ein bisschen Deutschland- & Innovations-Bashing 😉
Das war es für diesmal. Habt ein schönes Wochenende und einen guten Start in die neue Woche! Bis bald!