☀️ Am-Ball-Bleiben - Issue #93 - Reading Digest von André Cramer
Willkommen zurück nach einer längeren Pause. Die letzten Wochen waren einfach sehr, sehr busy, so dass es leider nicht geklappt hat, regelmäßig meine Leseempfehlungen mit Euch zu teilen. Hier gibt's jetzt nun endlich die neue Ausgabe meines Newsletters mit meinen Highlights zum Lesen, Hören, Schauen. → 📰 📻👂👁️
⊗ über neuartige organische Akku-Batterien ⊗ über gigantische Pläne für Offshore Windkraft ⊗ über wertebasierte Digitalisierung ⊗ über den ultra-überwachten Arbeitsplatz ⊗ über verschiedene Einschätzungen zur Krypto-Krise ⊗ über Elon Musks Versuch, die Twitter-Übernahme platzen zu lassen ⊗ über Abwehrpläne gegen Satelliten-Breitband-Netzwerke ⊗ über chinesische Online-Zensur ⊗ über den Sinn von Häusern im Metaverse ⊗ über die Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft ⊗ darüber, ob es überhaupt eine liberale Weltordnung gibt ⊗ über die kalifornische Ideologie ⊗ über die nationalistische Erziehung von Chinas Jugend ⊗ über deutsche Militärhilfe für China ⊗ über viele Blickwinkel auf den Russland-Ukraine-Krieg ⊗ über die Transformation zur Bundesrepublik 3.0 ⊗ über die "Office-Monster" und ihren Kampf für die Büro-Vergangenheit ⊗ einige sehr interessante Hör- und Sehempfehlungen ⊗ über ein paar Highlights der re:publica ⊗ und noch viel mehr!
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Abteilung "Technologie & Innovation"
'Organic' rechargeable battery on the horizon — www.sustainabilitymatters.net.au
Durchbruch bei organischen Batterien durch australische und chinesische Forscher*innen. Die Entwicklung von Akkus auf Basis organischer Polymere mit der doppelten Energiekapazität im Vergleich zu bisherigen Modellen macht eine mögliche Zukunft realistischer, in der wir weit weniger abhängig vom Lithium- und Kobaltabbau sein können.
EU leaders plot 10-fold increase in offshore wind capacity by 2050 — www.businessgreen.com
Dänemark, Deutschland, die Niederlande und Belgien haben einen Plan angekündigt, der vorsieht, bis zum Jahr 2050 in der Nordsee eine Offshore-Windkraftanlage mit einer Leistung von 150 GW zu installieren. Das wäre die Hälfte der gesamten Offshore-Windkraft, die erforderlich ist, um die EU auf CO2-Null zu bringen. Zum Vergleich: Die weltweit installierte Gesamtkapazität beträgt derzeit 25 GW. Hoffentlich wird das was!
Abteilung "Technologie & Gesellschaft"
Plädoyer für eine wertebasierte Digitalisierung: Resilienz gegen Hatespeech und Trolle — politik.watson.de
Warum ich das wichtig finde?
In diesem sehr interessanten Gastbeitrag fordern Ann Cathrin Riedel (FDP), Tobias Bacherle (Grüne) und Armand Zorn (SPD), dass die G7 ihre starke Position im Bereich Digitalisierung und Internetgesetzgebung nutzen müssen, um auch den globalen Süden zu stärken. Denn in Zeiten der immer intensiveren Bemühungen von Autokratien, weltweit wo immer möglich die Freiheit zu bedrohen und freie Gesellschaften zu zersetzen, kommt uns auch im Digitalen eine ganz besondere Verantwortung zu.
Der Stärkung eines verantwortlichen Verhaltens von Staaten im Cyberraum kommt dieser Tage nochmals eine besondere Bedeutung zu. Eine Zeitenwende verlangt, dass Deutschland eine neue Rolle in der Welt einnimmt. Dass wir stärker global Verantwortung übernehmen und uns sowohl dieser, als auch unserer eigenen Interessen bewusst sind.
Wir mögen noch eine Weile über uns selber spotten, dass das Internet für uns “Neuland” wäre. Aber das ist es schon längst nicht mehr. Deutschland und die Europäische Union gelten als Vorreiter bei der digitalen Gesetzgebung – die Europäische Datenschutzgrundverordnung baute auf dem deutschen Bundesdatenschutzgesetz auf. Der Digital Service Act lernte vom deutschen NetzDG (und wiederholt nicht dessen Fehler) und vom Medienstaatsvertrag.
Wir müssen im Interesse aller dazu einladen, gemeinsam für einen besseren – das heißt freien, offenen, demokratischen und menschenrechtsbasierten – digitalen Raum einzutreten. Frei von Überwachung und Zensur. Denn all das ist die Grundlage für Demokratien heute und morgen. Dass die Menschen weltweit danach verlangen und streben, sehen wir an den bewundernswerten Menschen in Hongkong, Belarus und der Ukraine. Demokratie ist uns nicht gegeben, sie ist uns aufgegeben.
Welcome to the era of the hyper-surveilled office — www.economist.com
Warum ich das wichtig finde?
Weil hier ein wichtiges und sehr heikles Thema angepackt wird, das unbedingt mal ins Licht gerückt werden muss: das totalüberwachte Büro. Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür sind sehr unterschiedlich, je nachdem in welcher Weltregion wir uns bewegen. Aber der Drang von Unternehmen und Unternehmenslenker*innen, Mitarbeitende zu überwachen ist wohl überall anzutreffen. Der "Big Brother Boss" in in vielen Ländern und Unternehmen bereits heute Realität.
A study by the European Commission found that global demand for employee-spying software more than doubled between April 2019 and April 2020. Within weeks of lockdowns starting in March 2020, search queries for monitoring tools rose more than 18-fold. Surveillance-software makers reported huge increases in sales. At Time Doctor, which records videos of users’ screens or periodically snaps photos to ensure they are at their computer, sales suddenly trebled in April 2020 compared with the previous year. Those at DeskTime, which tracks time spent on tasks, quadrupled over the period. A survey of more than 1,000 firms in America in 2021 found that 60% of them used monitoring software of some type. A further 17% were considering it. [...]
In an acknowledgement that corporate surveillance is on the rise—and raising eyebrows—on May 7th a New York state law kicked in requiring companies to inform employees about any electronic monitoring of their telephone, email and internet activity. [...]
Startups are offering increasingly sophisticated threat assessment. One, Awareness Technologies, offers software called Veriato, which gives workers a risk score to determine their security risk to an employer, such as being responsible for data leaks or intellectual-property theft. Another, Deepscore, even claims its face and voice-screening tools are able to establish how trustworthy an employee is.
Why This Computer Scientist Says All Cryptocurrency Should “Die in a Fire” — www.currentaffairs.org
Warum ich das wichtig finde?
Inmitten des Bärenmarkts, der insbesondere für die Krypto-Branche und Krypto-Währungen besonders drastisch ausfällt, stieß ich auf dieses Interview mit Nicholas Weaver von der University of California in Berkeley. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Kryptowährungen - und hält sie für eine "schreckliche Idee, die in einer Katastrophe enden wird". Offensichtlich ist diese gerade dabei, sich zu entfalten.
Cryptocurrencies, although a seemingly interesting idea, are simply not fit for purpose. They do not work as currencies, they are grossly inefficient, and they are not meaningfully distributed in terms of trust. Risks involving cryptocurrencies occur in four major areas: technical risks to participants, economic risks to participants, systemic risks to the cryptocurrency ecosystem, and societal risks. [...]
This is a virus. Its harms are substantial. It has enabled billion dollar criminal enterprises. It has enabled venture capitalists to do securities fraud as their business. It has sucked people in. So either avoid it or help me make it die in a fire. [...]
The biggest one is “this incentivizes green power.” Which it does in the same way that a whole bunch of random shootings would incentivize bulletproof vests. But wait, it’s worse! The problem with the Global Public Square is that it is a single, limited entity, and you have only so much you can add to it at any given time. So Bitcoin burns that much of the world’s electricity to be able to process somewhere between three to seven transactions per second across the entire world.
Hier gibt es noch einen Artikel von Paris Marx (Host des Podcasts "Tech won't save us"), in dem er besonders auf die Rolle derjenigen Menschen hinweist, die während der Hype-/Boom-Phase der Krypto-Szene starke Advokaten waren, sich ethisch nicht einwandfrei verhalten haben und jetzt umschwingen.
Crypto Was Always Going to Crash — tribunemag.co.uk
The crypto crash has exposed the speculative bubble behind the decentralised currency myth – and wiped out many people’s life savings in the process.
There’s a long history of people within the tech industry rebranding themselves as concerned advocates of change once they’ve made their money through exploitative practices they later claim to oppose, but that can’t be allowed to happen this time. All those who helped sell the crypto scam should all wear their participation as a badge of shame—and they should hope and pray their actions have only cost livelihoods, not actual lives.
Und auch Security-Koryphäe Bruce Scheier hat sich sehr eindeutig zum Thema geäußert:
On the Dangers of Cryptocurrencies and the Uselessness of Blockchain — www.schneier.com
Earlier this month, I and others wrote a letter to Congress, basically saying that cryptocurrencies are an complete and total disaster, and urging them to regulate the space. Nothing in that letter is out of the ordinary, and is in line with what I wrote about blockchain in 2019. [...]
This is my basic argument: blockchain does nothing to solve any existing problem with financial (or other) systems. Those problems are inherently economic and political, and have nothing to do with technology. And, more importantly, technology can’t solve economic and political problems. Which is good, because adding blockchain causes a whole slew of new problems and makes all of these systems much, much worse.
Musk’s Attempt To Get Out Of The Twitter Deal Proceeding Exactly As Predicted; What Happens Next? — www.techdirt.com
Warum ich das wichtig finde?
Weil ich zu viel über Elon Musk geschrieben habe, mich zu sehr über die geplante Übernahme von Twitter aufgeregt habe, als dass ich das Thema jetzt einfach beiseite schieben kann. Denn vieles ist jetzt genau so gekommen, wie ich es vermutet habe. Musk hat keine Ahnung von Social Media (zumindest beruht seine Einschätzung wohl auf einer Nutzer*innenerfahrung, die nur er hat - wegen seiner hohen Zahl an Follower*innen und erratischem Nutzungsverhalten), irrlichtert am rechten Meinungsrand rum und hat (oder auch nicht) die Mittel, solche Turbulenzen zu stiften, wie sie durch die Twitter-Übernahmeankündigung entstanden sind. Und jetzt kriegt er kalte Füße (weil die Finanzierungsoptionen im derzeitigen Börsenklima sehr unattraktiv geworden sind) und versucht auf unlautere Art und Weise den Deal platzen zu lassen..
Und die Art und Weise, wie er den Deal platzen lassen möchte, ist aus dem Lehrbuch der dreckigen Corporate Games:
Er behauptet, Twitter habe ihm zu wenig Informationen über den Anteil der Spam-Accounts und Bots geliefert. Was wirklich skurril ist: Zum einen hat Twitter ihm weitreichenden Datenzugriff gewährt. Zum anderen hatte er den Kampf gegen Spam-Bots einst selbst als einen der wichtigsten Gründe für seinen Kauf angeführt – jetzt will er aus ebendiesem Grund aus dem Kauf aussteigen. Dabei hat er bislang nicht den geringsten Beleg erbracht, dass der Anteil der Fake-Accounts tatsächlich um ein Vielfaches über den fünf Prozent liegt, die Twitter selbst angibt. Aber damit nicht genug. Auch der Rest seiner Argumentation ist billig, wenn nicht lächerlich. Unter anderem fordert er Informationen ein, die Twitter alle drei Monate in seinem Quartalsbericht offenlegt (!). Außerdem beschwert er sich darüber, dass Twitter eine Kalkulation von Goldman Sachs in Form eines PDFs zur Verfügung gestellt habe, und nicht als "working copy", die er angefordert hatte. Geht's noch?
In diesem Techdirt Artikel wird es wunderschön ausgedrückt, wie dieses hinterhältige Playbook gespielt wird:
This is all just a very expensive way of saying "you promised us to provide us everything we needed, so we kept asking for more and more ridiculous, and impossible-to-actually-deliver information until we could claim you weren’t giving us what we needed, and so now we can claim you’re in breach.
😖
PRC Defense: Starlink Countermeasures — gaodawei.wordpress.com
Warum ich das wichtig finde?
In Zeiten des Ausbaus von erdnahen Satellitennetzwerken für Breitbandkommunikationsdienste, wie z.B. Starlink von SpaceX oder Kuiper von Amazon steht bisher ausschließlich im Vordergrund, was das aus Konsument*innen-Sicht bedeutet. Aber was bedeuten solche Netzwerke eigentlich für Staaten, die der freien Rede feindselig gegenüberstehen? Oder die sich aus anderen Gründen von Kommunikationsnetzwerken außerhalb ihrer Kontrolle bedroht fühlen? Hier gibt es interessante Einblicke dazu, wie chinesische Militärforscher*innen ihrer Regierung dazu raten, Pläne für die Zerstörung des Starlink-Satellitensystems zu entwickeln.
Dieser aus der chinesischen Fachzeitschrift Modern Defense Technology übersetzte Artikel "The Development Status of Starlink and Its Countermeasures" befasst sich mit der Abwehr einer militärischen Bedrohung - genauer gesagt mit militärischen Bedrohungen, die durch viel schnellere Kommunikation ermöglicht werden - und damit, welche Fähigkeiten China benötigt, um der Starlink-Konstellation "zu begegnen".
After two years of vigorous development and rapid deployment, the Starlink program has completed the first phase of global network deployment, and initially realized the global coverage of continuous mid- and low-latitude regions. While providing commercial services, this giant constellation harbors great potential for military applications, posing a great challenge to our existing situational awareness and traditional defense capabilities. Therefore, it is necessary to actively respond in various aspects, especially to develop and build situational awareness equipment and systems in a targeted manner, and vigorously develop various new disposal means, so as to maintain and obtain space advantages in the fierce space game.
Die Maßnahmen drehen sich vor allem um diese Facetten:
Countermeasures Requirements; Full Starlink constellation wide area surveillance capability; Precise sensing of key targets, Capability for comprehensive intelligent fusion of situational data; Capability to recover from anomalous events in outer space; Low-orbit group target system countermeasure capability
Das sich die Betrachtung dieser Netwerke als eine Bedrohung nicht auf China beschränkt, beleuchtet dieser Artikel bei Heise. 👇 Ein neues Space Race und die Ausweitung des militärischen Aktionsgebiets weitet sich durch solche Kommunikationsnetzwerke nun immer schneller in Richtung erdnaher Weltraum aus:
Großmächte nehmen Satelliten als Angriffsziele ins Visier — www.heise.de
Die Großmächte bauen ihre Arsenale an Anti-Satelliten-Waffen aus. So ist die amerikanische Space Force im Jahr 2021 um über 30% auf 24,5 Mrd. US-Dollar gewachsen. Sie soll ein System verlässlicher Kommunikations- und Beobachtungssatelliten für Krisensituationen aufbauen und Waffen bereitstellen, um gegnerische Satellitentechnik zu bekämpfen.
Noch mehr Lesestoff und Inspiration
China wants to censor all social media comments — www.technologyreview.com
China feilt an seiner Zensurmaschinerie und schlägt diesmal Änderungen bei der Regulierung der Milliarden von Online-Kommentaren vor, die täglich im Land gepostet werden. Alle Online-Kommentare müssten vor ihrer Veröffentlichung vorab geprüft werden. Nutzer*innen und Beobachter*innen sind besorgt, dass dieser Schritt dazu genutzt werden könnte, die Meinungsfreiheit in China vollends einzuschränken.
Molly White is becoming the crypto world's biggest critic — www.washingtonpost.com
Ein tolles Portrait von Molly White (deren Artikel ich hier oft teile), einer 28-jährige Software-Ingenieurin, die, zum vielleicht unbequemsten Dorn im Auge der Kryptowährungsbewegung geworden ist. Während die Tech- und Finanzwelt Kryptowährungen weitgehend akzeptiert, führt sie eine Gruppe von Skeptiker*innen an, die in die andere Richtung drängen und vor allem die dunklen Seiten dieses Tech-und Finanzökosystems sichtbar machen.
Report shows that Amazon uses data from Alexa smart speakers to serve targeted ads — www.theverge.com
Wie es scheint, verwendet Amazon Daten aus Interaktionen mit Alexa für sein Anzeigengeschäft. Allerdings: hierbei handelt es sich "nur" um tatsächliche Gespräche die mit Alexa geführt werden, nicht um passives Zuhören.
You don't need a house in the metaverse — www.garbageday.email
Dies hier ist aus Ryan Brodericks sehr empfehlenswertem Newsletter Garbage Day. Es geht um ein Thema, welches mich reizt (im ganz negativen Sinne): was ist davon zu halten, dass Unternehmen in virtuellen Metaverse-Welten digitale Immobilien verkaufen (und es offensichtlich Bieterwettbewerbe gibt von Menschen, die bei sowas mitmachen)? Es sehe das ähnlich vernichtend wie Ryan:
None of the things that a house is used for in real life apply to a virtual world. You do not need to protect yourself from the elements. You do not need to store physical objects. You do not need to sleep. This is a scam and everyone involved should be embarrassed. Most importantly, if you had the limitless creative freedom of a virtual world, why would you live in a mansion? How utterly devoid of imagination do you have to be to buy a digital simulation of big house on an island?
Abteilung "Gesellschaft, quo vadis?"
Der große Unterschied: Wie aus Vielfalt Gerechtigkeit wird — www.derstandard.at
Warum ich das wichtig finde?
Weil dies ein wirklich wichtiger und in den letzten Wochen vielzitierter Essay von Wolf Lotter ist, indem er erläutert, dass er die Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft auch als eine Demokratiebewegung ansieht. Demokratie baut auf Vielfalt und Diversität, Autokratie hingegen macht keine Unterschiede. Wir sollten uns dieser Umstände immer bewusst sein.
Gefälligkeitsdiktaturen zeigen, dass die Leute es gern bequem haben, übersichtlich. Diese Komfortzonen führen in die Tyrannei. Demokratie ist dagegen lästige Arbeit, verhandeln, aushalten, Vielfalt erkennen und mit ihr umgehen, Komplexität eben. Wie viele Leute kennen wir, die sich das gern freiwillig antun – und wie viele, die ohne Murren parieren, wenn es dafür was Hübsches gibt? Das ist das Problem. Jeden Tag zahlen die Westeuropäer 700 Millionen Euro für Gas in Putins Kriegskasse, also für die Unterwerfung der Ukraine, der die eigene auf dem Fuß folgen wird. Das Establishment der Gefälligkeitsdemokratien aber hat mehr Angst vor der Verstimmung des Wahlvolks als vor solchen Konsequenzen. [...]
Die Grenzen sind fließend, deshalb muss man genau hinschauen, auf die Kultur. Die Industriegesellschaft hat uns in den letzten 200 Jahren reich gemacht, die Lebenserwartung verdreifacht, das Vermögen der Westeuropäer verfünzfigfacht. Nicht schlecht. Aber auch die schlimmsten Tyrannen der Geschichte entspringen dieser Kultur. Hitler, Stalin, Mao und Putin sind Kinder des für den Industrialismus so typischen Denkens in Alternativlosigkeit, in Eindeutigkeit, die Vielfalt und Diversität radikal ablehnen. Mechanistisches Denken, die Scheinlogik der Industriegesellschaft, verträgt sich nicht mit Demokratie und Vielfalt, Transformation und positivem Fortschritt. Es war Margaret Thatcher, die das Wort "Alternativlos" in die Diskussion brachte, Angela Merkel hat es nur aufgenommen. Industriemanager benutzen es gern. [...]
Martin Brudermüller, der Chef des Chemiekonzerns BASF, sprach aus, was Manager denken. Dem Spiegel erklärte er, der Verzicht aufs Gas würde zur "größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg führen", zu einer "Zerstörung der gesamten Volkswirtschaft". Superlative, die zeigen, wie gedacht wird: schwarz, weiß, ja, nein. Differenziertes Denken sieht anders aus. Man findet es etwa bei der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm, die konterte, dass ein Weiter so ohne Totalembargo die höchsten Folgekosten hätte, materiell, menschlich, moralisch. [...]
In der Industriellen Revolution kämpften die Bürgerlichen noch gegen das Ancien Régime und seinen absoluten Machtanspruch. Die jungen Unternehmer waren Revolutionäre, der große österreichische Ökonom Joseph Schumpeter nannte sie einmal "Haudegen". Leute, die sich was trauen und für Vielfalt und Erneuerung kämpfen. Doch aus ihnen, so klagte Schumpeter, wären Bürokraten des Industrialismus geworden, "Jammerlappen" nannte er sie. Diese Leute würden sich ständig bei der Politik beklagen, nach Subventionen und Gefälligkeiten anstellen. Innovationen gelten als Störung der Betriebsabläufe. Alternativen als Sabotage am Plan. Gehandelt wird nur, wenn es vorher eine politische Entscheidung gab, wenn sich das Management absichern kann. Die Reste der Revolution krochen immer klarer an die Seite der Autokratie. Demokratie, Teilhabe, Selbstbestimmung – das stört doch nur!
There Is No Liberal World Order — www.theatlantic.com
Warum ich das wichtig finde?
Weil Anne Applebaum hier eine sehr wichtige Wahrheit ausspricht, die uns durch den Russland-Ukraine-Krieg nochmal ganz fett unter die Nase gerieben wird: Wenn Demokratien sich nicht wehren, werden die Kräfte der Autokratie sie zerstören. Es geht hier um eine deutliche Kritik an unserer Praxis der letzten 30 Jahre: Handel mit Autokraten führt nicht zu besseren, freieren, demokratischeren Umständen dort, sondern verschlechtert unsere ganz eigene Situation und Position und unsere Zukunftsaussichten.
Even when the Russians, having grown rich on the kleptocracy we facilitated, bought Western politicians, funded far-right extremist movements, and ran disinformation campaigns during American and European democratic elections, the leaders of America and Europe still refused to take them seriously. It was just some posts on Facebook; so what? We didn’t believe that we were at war with Russia. We believed, instead, that we were safe and free, protected by treaties, by border guarantees, and by the norms and rules of the liberal world order.
Trading with autocrats promotes autocracy, not democracy. Congress has made some progress in recent months in the fight against global kleptocracy, and the Biden administration was right to put the fight against corruption at the heart of its political strategy. But we can go much further, because there is no reason for any company, property, or trust ever to be held anonymously. Every U.S. state, and every democratic country, should immediately make all ownership transparent. Tax havens should be illegal. The only people who need to keep their houses, businesses, and income secret are crooks and tax cheats.
The Californian Ideology — www.metamute.org
Warum ich das wichtig finde?
Das ist ein interessanter Text über die "kalifornische Ideologie". Was ihn besonders interessant macht: er stammt aus dem Jahr 1995. Richard Barbrook und Andy Cameron schreiben hier über "eine neue globale Orthodoxie in Bezug auf die Beziehung zwischen Gesellschaft, Technologie und Politik". Sie nennen diese Orthodoxie nach dem Staat, in dem sie entstanden ist. Hier kann man viel Weitsicht erkennen zu einem Problem, welches sich in den letzten Jahren mit voller Kraft um uns herum ausgebreitet hat. Welche Welt bauen wir uns, wenn die Technologie in ihr eine immer größere Rolle spielt und diese in Kalifornien von ganz bestimmten Menschen maßgeblich geprägt wird?
By naturalising and giving a technological proof to a libertarian political philosophy, and therefore foreclosing on alternative futures, the Californian Ideologues are able to assert that social and political debates about the future have now become meaningless. [...]
Despite the central role played by public intervention in developing hypermedia, the Californian Ideology is a profoundly anti-statist dogma. The ascendancy of this dogma is a result of the failure of renewal in the USA during the late '60s and early '70s. Although the ideologues of California celebrate the libertarian individualism of the hippies, they never discuss the political or social demands of the counter-culture. Individual freedom is no longer to be achieved by rebelling against the system, but through submission to the natural laws of technological progress and the free market. In many cyberpunk novels and films, this asocial libertarianism is expressed by the central character of the lone individual fighting for survival within a virtual world of information.[...]
We need to find ways to think socially and politically about the machines we develop. While learning from the can-do attitude of the Californian individualists, we also must recognise that the potentiality of hypermedia can never solely be realised through market forces.
Ein ganz tolles Plädoyer zum Schluss:
We need an economy which can unleash the creative powers of hi-tech artisans. Only then can we fully grasp the Promethean opportunities of hypermedia as humanity moves into the next stage of modernity.
😊👍
Zum Thema "kalifornische Ideologie" passt ganz gut eine in dieser Woche ganz frisch erschienene Dokumentation des ZDF (von Klaus Kleber):
Utopia — www.zdf.de Erfinder und Ingenieure, Genies und Risiko-Investoren aus dem Silicon Valley verändern unsere Welt grundsätzlich in atemberaubendem Tempo und Umfang.
Ich finde diese 45-minütige Doku so mittelmäßig gelungen. Es gibt zu viele unnötige (CGI-manipulierte) Kamerafahrten ohne viel Wert (aber mit futuristischen San Francisco Eindrücken) und vor allem kommen Menschen wie Elon Musk noch viel zu positiv weg. Richtig kritische Statements, Handlungen, Haltungen werden gar nicht beleuchtet. Der Name Peter Thiel fällt nur einmal kurz vor Schluss, ohne weiter eingeordnet zu werden. Das hätte man alles viel besser machen können.
China's Generation Z Has a Lot of Nationalist, Pro-CCP Snitches — foreignpolicy.com How censorship, nationalism, and wealth have shaped young Chinese.
Warum ich das wichtig finde?
Ein deprimierender Artikel darüber, wie erfolgreich die Chinesische Regierung dabei ist, junge Menschen zu einem toxischen Nationalismus zu sozialisieren. Das macht mir große Sorgen.
When the internet proliferated in the early 2000s, Chinese millennials saw it as a window to a bigger, wider world—one in which China was becoming more integrated. Back then, many Chinese still saw the West as a model to learn from. [...] The strengthening of China’s Great Firewall changed everything. Within a few years, free speech was first censored and then cracked down on. Dissent was no longer cool. Instead, it was seen as a weapon wielded by foreigners against China. As nationalism grew as a force and as China became wealthier, criticism of the state was seen more as a betrayal than as something that could be constructive. [...]
These trends are not just about government policy. Over time, policy changes people, too. It can shape a generation. The children in Chinese high school classrooms and colleges today are very different from what my classmates and I were like in the early 2000s. China’s Gen Zers—unlike the millennials of my era—are indoctrinated in jingoism and have a higher regard of their place in the world. For decades to come, these changes will have a profound impact not only on Chinese society and politics but the world.
Ist China das nächste Russland? — krautreporter.de
Warum ich das wichtig finde?
Weil es hier (in der Reihe aller Artikel in dieser Rubrik) weitergeht im Tenor: unsere Freiheit ist massiv bedroht. Russland und China. China und Russland. Wenn es um diese Bedrohung geht, dann sind das die Hauptakteure. Nur auf unterschiedliche Art und Weise. Deutschlands wichtigster Handelspartner ist China. Doch die Volksrepublik wird immer mehr zur Diktatur. "Kommen wir da noch raus?", fragt Alexander Görlach bei Krautreporter.
Xi und Putin haben sich eine „Wiedervereinigung“ ihrer Länder zur Lebensaufgabe gemacht. Beide behaupten, ihre Länder hätten einen ausgewiesenen Platz in der Weltgeschichte, der ihnen von der westlichen Welt gestohlen worden sei und der nun, im Auftrag „der Geschichte“ zurückzuerlangen sei. Sie vergöttern dabei die Geschichte als Schicksalskraft, die die Welt nach einem bestimmten Plan und auf ein gewisses Ziel hin steuert. Und in dieser Überzeugung werden sie immer radikaler. Die beiden politische Ideologen Xi und Putin sehen sich, ihr eigenes Leben und Wirken als eine Manifestation eines Heilswillens der Geschichte. Xi lobt die Han-Chinesen als die neue „Herrenrasse“. Putin greift nach anderen Ländern, um Lebensraum für Russen zu gewinnen und verteilt russische Pässe an willige Ukrainer:innen. Im Westen muss man daher neu verstehen lernen: Die Ukraine und Taiwan sind für Putin und Xi nicht einfach Länder oder „Lebensraum“ – sie sind Schicksalsorte der von den Autokraten selbst geschriebenen Heilsgeschichte.
Als ob das alles noch nicht schlimm genug sei, laufen noch die folgenden Sachen ab. Deutschland hilft China massiv bei der militärisch-technologischen Aufrüstung:
Wie Deutschland China hilft, zur Militär-Supermacht aufzusteigen — correctiv.org Das Regime von Xi Jinping will ein „Weltklasse-Militär“ aufbauen. Dafür kooperieren chinesische Militär-Einrichtungen mit europäischen Forschenden – und Deutschland macht mit.
30 Journalistinnen und Journalisten in sieben europäischen Ländern werteten für das Projekt „China Science Investigation“ unter der Leitung von CORRECTIV und Follow the Money mehr als 350.000 wissenschaftliche Studien von Januar 2000 bis Februar 2022 aus. Das Ergebnis ist brisant: Mit unseren deutschen Partnern Deutsche Welle, Deutschlandfunk und Süddeutsche Zeitung entdeckten wir mindestens 349 wissenschaftliche Veröffentlichungen, in denen Forschende an deutschen Hochschulen mit chinesischen Kolleginnen und Kollegen aus Militäreinrichtungen zusammengearbeitet haben. In ganz Europa stießen wir mit unseren internationalen Partnern auf mindestens 2.994 Fälle.
Ukraine-Konflikt: Bundeskanzler Olaf Scholz will keine Leberwurst sein — www.wiwo.de
Warum ich das wichtig finde?
Ich teile das vor allem wegen dieses kleinen Abschnitts hier. 👇 Das alles passt in die Reihe der vorangehenden Artikel. Es geht um den Angriff auf unsere Freiheit. Russland tut das. China tut das (siehe oben). Nur hier bei uns, in den Demokratien des Westens scheint das eine sehr unbequeme Wahrheit zu sein, um die viele Menschen lieber einen (Denk-)Bogen machen.
Zur Erinnerung: Putins Russland will die Ukraine vernichten. Putins Russland hat Tausende Zivilisten umgebracht und Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Putins Russland legt ein europäisches Land in Schutt und Asche. Putins Russland droht Europa mit dem Atomkrieg. Putins Russland verachtet die Demokratie und den Liberalismus. Putins Russland will Europa ruinieren mit seinen Cyberkriegern und Desinformationskampagnen, mit Flüchtlingswellen und der Zerstörung der Ukraine. Putins Russland ist eine brutale Diktatur. Es kann und darf deshalb niemals um eine „gesichtswahrende Lösung“ für Putin geben – das käme einer politischen Selbstaufgabe gleich.
Krieg in der Ukraine: Waffenstillstand jetzt! — www.zeit.de
Warum ich das wichtig finde?
Weil ich finde, dass man gar nicht oft genug betonen kann, herausarbeiten kann, in den Fokus stellen kann, dass diese unsäglichen offenen Briefe von deutschen Intellektuellen einfach nur noch nervig und unsäglich sind. Insbesondere dieser letzte Brief vom Juli ist ein analysefreies Sammelsurium von Verhandlungsappellen, das angesichts der militärischen Lage und der offen imperialistischen Expansionspolitik Russlands so hilflos wie realitätsfern wirkt. Und dazu Aggressor und Angegriffenen moralisch auf die gleiche Stufe stellt.
Wenn ich das richtig sehe und einschätze, dann wird an keiner Stelle, andiskutiert, was nach nach einem Waffenstillstand passieren soll. An keiner Stelle wird das Problem erörtert, dass die Russische Föderation wiederholt gesagt hat, dass dieser Krieg nur zu ihren Bedingungen beendet wird. An keiner Stelle wird eine Lösung dafür angeboten, wie man die territoriale Integrität der Ukraine (und zwar der ganzen) wiederherstellt. Es wird nur darauf verwiesen, dass es bislang nicht genügend Anstrengungen des „Westens“ gab, eine diplomatische Lösung zu suchen. Dazu muss der Westen aber den beiden Konfliktparteien Anreize geben. Welche Anreize kann es aber für Russland geben? Keine Aussage dazu im offenen Brief. Welche Anreize kann es der Ukraine geben? Keine Aussage. Wie sollen die territorialen Fragen gelöst werden? Keine Aussagen. Wie könnten Sicherheitsgarantien für die Ukraine aussehen? Keine Antwort. Ja, es wird zu recht darauf hingewiesen, dass dieser „regionale Krieg“ viele globale Konsequenzen hat. Aber da gibt es ja nur einen Verursacher: Russland. Es ist nicht der Krieg per se, sondern Russlands Kriegsstrategie. Zwar darf es keinen Diktatfrieden geben, so die Autor*innen. Aber wie man es schafft, Russland nicht 20% des ukrainischen Territoriums zu geben, wenn man jetzt verhandelt, keine Idee dazu. Wenn es jetzt einen Waffenstillstand gäbe, würden die Verhandlungen ein Sieg für Russland sein. Russland wird sich jedes Entgegenkommen seinerseits teuer, sehr teuer vergolden lassen.
Frieden zu fordern ist eine löbliche Idee, die wir sicher alle teilen, aber diese Menschen aus dem Brief haben keinen blassen Schimmer davon, wie sie sich umsetzen läßt. Deswegen sollten diese Briefe bitte aufhören!
Was sich mit dem Krieg in der Ukraine in Deutschland ändern muss — www.sueddeutsche.de
Die Bundesrepublik kann nicht dieselbe bleiben: Warum Deutschlands "Ferien von der Geschichte" nun vorbei sind.
Zum Abschluss des Russland-, China- und Autokratie-Themenkomplexes noch ein toller Text von Nils Minkmar. Er zeigt auf, wo die schmerzhaften Stellen sind, die wir nun anpacken müssen bei der unabwendbaren Transformation. Er hat hier wichtige Ideen zusammengestellt für die "3. Bundesrepublik":
Da ist zum einen die Erkenntnis vom notwendigen Ende des fossilen Zeitalters. Staaten, die fossile Energie verkaufen, haben die Tendenz, zu unmenschlichen politischen Regimen zu mutieren. Mit Russland sind keine Geschäfte mehr möglich, aber auch mit Saudi-Arabien oder Iran sind sie nicht zu empfehlen. Erneuerbare Energie ist die Alternative hierzu. In Deutschland weiß man es seit vielen Jahrzehnten, scheute aber die Mühen, die Kosten. In der dritten Bundesrepublik ist es an der Zeit, danach zu handeln, was man weiß. [...]
Die Anthropologie der Bundesrepublik sah so etwas nicht vor. Viel war von Werten die Rede, aber man traute der Macht der Interessen mehr. Putin erwies sich als dialektischer Lehrmeister. Bis zu seinem endgültigen Outing als Massenmörder war er in Deutschland überall willkommen – so mächtig war der Tagtraum, man habe in Russland einen guten Partner gefunden. Deutschland trug dazu bei, ihn mit Geld zu verwöhnen – Putin ist heute einer der reichsten Männer der Welt. [...]
Die dritte Bundesrepublik wird wegen dem Umbau der Energieversorgung, den zusätzlichen Ausgaben für Sicherheit und für einen Neuaufbau der Ukraine ärmer werden. Die Lebensmittelpreise steigen, die Inflation bedroht die Guthaben und das Wachstum sollte neu definiert werden. Es ist die Gelegenheit, Sinn und Zweck einer solchen Republik neu zu diskutieren. Vor einigen Jahren konnte eine Partei noch den Satz „Ohne Wachstum ist alles nichts“ ins Wahlprogramm schreiben – die doppelte Krise des Klimawandels und des Angriffs auf die liberale Demokratie erzwingen eine Neubewertung des Begriffs.
Niemand kann eine Gesellschaft wollen, in der einige wenige große Mengen von Boden, Besitz und Kapital halten – der Sturz der russischen Oligarchen durch die Sanktionen sollte Anlass sein, über eine faire Besteuerung der Superreichen weltweit nachzudenken. Die Bundesrepublik 3.0 hat viel Arbeit vor sich, ganz oben steht die Aufgabe, die Nachbarschaft zu erkunden, sich diskursiv und kulturell den Ländern Ost- und Mitteleuropas anzunähern und im Verbund der EU daran zu arbeiten, eine Heimat der liberalen Demokratie und der offenen Gesellschaft zu werden. Interessen sind ein wichtiges Element der sozialen und internationalen Beziehungen, aber der überzeugte Diskurs über Werte, verbunden mit der Stärke, diese auch zu verteidigen, sowie praktizierter internationaler Solidarität müssen die tragenden Elemente einer neuen deutschen Außenpolitik werden.
The Office Monsters Are Trying to Claw Their Way Back to 2019 — www.nytimes.com
Warum ich das wichtig finde?
Weil das Thema, wie und wo wir arbeiten natürlich auch eng verflochten ist in die Gestaltung unserer Zukunft und der Welt, in der wir leben wollen. Hier zeigt Vivian Gang in der New York Times auf, dass einige Unternehmenslenker(*innen) immer noch versuchen, mit allen Mitteln die Dinge wieder so hinzubiegen, wie sie einmal waren. Jedoch: dieser Kampf gegen einen Kulturwandel, könnte sich ihrer Kontrolle entziehen (und das ist auch gut so).
If the pandemic’s two-plus years of remote work experimentation have taught us anything, it’s that many people can be productive outside the office, and quite a few are happier doing so. That’s especially true for people with young children or long commutes, minority workers who have a tougher time fitting in with the standard office culture, or those with other personal circumstances that made working in offices less attractive. [...]
The resistance to remote work has many facets, including the bottom line: Many organizations have made pricey investments in office real estate, which has led to the creation of vast economic systems that are ultimately reliant on having workers at their desks. [...]
Beyond the bottom line, the back-to-office debate is about what kind of culture will prevail as the business world emerges from the pandemic. And for all of the power wielded by Mr. Musk, Mr. Dimon and Mr. Adams, they may be fighting a shift that is larger than any single company or city.
Passend zum Thema empfehle ich noch dieses Interview mit New York Pionier Frederic Laloux:
New Work: Frederic Laloux über den Sinn von Arbeit — www.sueddeutsche.de New-Work-Vordenker Frédéric Laloux erklärt, warum Chefs häufig unglücklich sind und wie Unternehmen endlich besser geführt werden können.
Und das ist eine andere Sache, die das System langsam verändern wird: Als wir unser Zuhause verlassen haben, um zur Arbeit zu gehen, wirkte das alles immer sehr wichtig, gerade auf den höheren Hierarchieebenen. Aber dann saßen wir plötzlich zu Hause fest mit unseren Partnern und Familien oder Mitbewohnern. Und die haben unsere Zoom-Meetings mitgehört und mitbekommen, wie langweilig und sinnlos diese Meetings oft sind. Das hat viele Menschen dazu gebracht, darüber nachzudenken, wie sinnvoll ihre Arbeit überhaupt ist. Auch das wird dazu führen, dass die Menschen ein anderes System wollen.
Und zum Abschluss noch diese kleine Notiz zu einem verwandten Vorgang bei Apple:
Noch mehr Lesestoff und Inspiration
Elon Musk praises Chinese workers for ‘burning the 3am oil’ – here’s what that really looks like — www.theguardian.com
Elon Musk ist begeistert, dass er chinesische Arbeiter*innen härter drangsalieren kann, als es in anderen Ländern akzeptabel wäre. Er lobt sie dafür, dass sie "das Öl um 3 Uhr morgens verbrennen, sie verlassen nicht einmal die Fabrik", während die Amerikaner*innen "sich vor der Arbeit drücken" würden.
Carbon Dioxide Levels Are Highest in Human History — www.nytimes.com
Im Jahr 2021 haben wir Menschen 36 Milliarden Tonnen des Treibhausgases in die Atmosphäre gepumpt, mehr als in jedem Jahr zuvor. Es stammt vor allem aus der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle.
Orbán's Media Machine: A day in the life of a narrative in Orbán's media — orban.media
Das hier ist sehr sehenswert. Es ist die Simulation eines Tags aus der Sicht eines ungarischen Bürgers, der der immer mächtiger werdenden politischen Medienmaschine von Viktor Orbán ausgesetzt ist. Hier kann man sich reinversetzen in eine Medienlandschaft, die nicht frei und objektiv ist. Beängstigend.
Zum Hören
Zwei tolle Podcast-Empfehlungen zum Thema Russland/Putin und Web3/Hyper-Financialization:
Podcast: The Ezra Klein Show- Putin May Not Like How He’s Changed Europe — open.spotify.com
Vladimir Putin’s invasion of Ukraine has transformed Europe within a matter of weeks. A continent once fractured by the refugee crisis is now taking in millions of refugees. Countries such as Germany have made considerable pledges to increase military spending. The European Union said it would cut off Russian oil and gas “well before 2030” — a once unthinkable prospect. The European project seems more confident in itself than at any other time in recent history.But some European countries are also seeing trends in the opposite direction. This month in Hungary, Prime Minister Viktor Orban’s nationalist government won re-election easily. The far-right leader Marine Le Pen lost this past weekend’s French presidential election to the incumbent, Emmanuel Macron, but secured a significant 41.5 percent of the vote, up from 33.9 percent in 2017. And nationalist movements — Brexit in Britain, the Five Star Movement in Italy and others — have become potent political forces in recent years. So what’s next for Europe? Will Putin’s invasion reinvigorate the collective European project? Or will the continent revert to its preinvasion path of fracture, division and nationalism? Ivan Krastev is the chairman of the Center for Liberal Strategies in Sofia, Bulgaria and the author of numerous books, including “After Europe” and, with Stephen Holmes, “The Light That Failed: Why the West Is Losing the Fight for Democracy.” He’s also one of my favorite people to talk to on the subject of Europe, liberalism, democracy and the tensions therein.We discuss how European identity went from revolving around war to being centered on economic trade, why Europe has treated the Ukrainian refugee crisis so differently from previous refugee crises, how the West’s overly economic understanding of human motivation blinded it to Putin’s plans, what the relative success of politicians like Le Pen and Orban means for the future of Europe, how fears of demographic change can help explain phenomena as different as Putin’s invasion and Donald Trump’s election, whether Putin’s invasion can reawaken an exhausted European liberalism and much more.
Tech won't save us: The Financialization of Everything w/ Edward Ongweso Jr. — open.spotify.com
Der Host des "Tech won't save us" Podcasts, Paris Marx, spricht mit Edward Ongweso Jr. über die Übernahme von Twitter durch Elon Musk, die Ausweitung von Spekulationen und Glücksspielen mit Hilfe von Technologie und darüber, warum das keine gute Idee ist. Edward Ongweso Jr. ist Redakteur bei Motherboard/Vice. Ich möchte gerne diese Passage des Gesprächs teilen, denn sie steht für so viel, was gerade nicht richtig läuft:
The drive for profit and to externalize all the costs has infected every single institution and relation among people. With the drive for profit and to externalize every single cost, right. It's like this idea, this vision or caricature of human beings as self-interested greedy beings who maximize everything. And so, it becomes a self-fulfilling prophecy. Because if that is your idea of society then you design institutions. And you design products. And you design services. And you design markets in a way very different than if people are altruistic. Or kind. Or show solidarity with one another. And as a result you effectively indoctrinate and inoculate people with the idea that they should be greedy and self-interested and maximizing their own profit from any situation and transaction. And then they go on to create institutions that prioritize beings and their relations when they are transactional and self-interested and so on and so forth. And make it much harder to create incentive structures where it makes no sense for you to do a good thing or do something that costs you even if it benefits someone else or show solidarity. […] We are increasingly creating systems where individuals within them, it doesn’t even really occur to them to think or to be uncomfortable with that sort of system. And that we should have a society where questions of morality and questions of what human beings should be able to do at their own freedom are treated differently. Where we don’t ask: “Is this thing that we are doing hurting people or helping people? Does this thing that we are doing have a social utility beyond making money and profit… and if it does, what is the actual social utility of the profit making that it is doing? Does it help people if the gambling sector’s profits are up 40 or 50% in one year? Does it help people if crypto’s adoption is 200% up? Does it help people if financial apps and financial tools are used by 20% more people each year?” Probably not… I mean they do in a narrow sense of the way that they market it. Which liberates you from the shackles of fiat, of your broker, and of your bank. And lift you up by your wallet, until the hands of anonymous brokers and anonymous bankers who are role playing as scrapping crypto day traders, right? And lift you up to the pockets of whales who have already cornered this and that market. That’s all a pretty depressing picture that I think ends up lining up with what the picture of the world that libertarians or libertarian inspired people envision. Which is one where we don’t trust each other. Where your connections with each other are voluntary and end the second you don’t want them to. Where everything is a transaction. Where you are always maximizing your own profit because everyone else is maxing their own benefit. That is a pretty disgusting and depressing world to live in. But that is the world we are hurdling towards because these people have managed to infect everyone with that mindset and vision for how humans should act to each other.
Zum Sehen
Eines der Highlights der letzten Wochen für mich war der Besuch der re:publica in Berlin. Nach zwei Jahren Pause gab es endlich wieder - an toller Location (Arena Berlin) - ein physischen Treffen von Menschen, die unsere Gesellschaft transformieren wollen um eine bessere Zukunft möglich zu machen. Es herrschte eine tolle Atmosphäre und an den drei Tagen gab es so unglaublich viele tolle Sessions und Beiträge, dass es schwierig war, einen Überblick zu behalten. Wer Lust hat, hier zu stöbern: alle Sessions sind online bei Youtube verfügbar:
re:publica 2022 – „Any Way the Wind Blows“ — www.youtube.com
Playliste mit allen Sessions der re:publica 2022.
Neben der Session, an deren Vorbereitung ich selbst beteiligt war (Was das Valley erzählt: Über Tech-Narrative, Zukünfte und was wir daraus lernen können (und verändern sollten) - mit Claudia Nemat und Adrian Daub), möchte ich Euch zwei Beiträge näher vorstellen.
1) Die kurze Eröffnungsrede von Tanja Hauesler, Co-Gründerin der re:publica
Folgende Passage hat mich richtig gepackt - und das möchte ich gerne mit Euch teilen:
Wir waren doch längst weiter. Es kann nicht sein. Fakten, die seit Jahrzehnten auf dem Tisch liegen und die wieder und wieder ignoriert werden. Und die wieder und wieder herausgekramt werden müssen und neu erklärt werden müssen. Fakt ist aber auch: das Geschirr wird nicht sauber, wenn man es auf die Geschirrspülmaschine stellt. Und trotzdem muss ich das als Teil meiner kleinen privaten Gesellschaft wieder und wieder erklären. Und das nervt. Und das zockt Energie, die man so viel besser investieren könnte... und so viel produktiver. Und manchmal macht das einfach müde und die Schultern hängen und man denkt: Ich habe vielleicht keinen Bock mehr und ich lasse es jetzt so - ich gebe auf. Aber dann gibt es so viele kluge, kreative, witzige Menschen. So viele gute Ideen. Kleine oder große, die umgesetzt werden müssen. Und das macht einem Hoffnung und gibt Mut. Und dann will man doch wieder Teil derer sein, die einfach die besseren Geschichten erzählen. Und die sogar daran glauben, dass diese Geschichten wahr werden können. Und das ist für mich die re:publica!
2) Die Rede des wie immer wunderbaren Bernhard Pörksen, der uns über die Lehren aus dem Informationskrieg berichtet:
Im Hinblick auf die Aufgabe, die wir bewältigen müssen, und die von einigen schlicht "Digitalisierung" (gerne angewendet auf verschiedene Lebensbereiche wie Verwaltung, Arbeit, Schule, etc.) genannt wird (aber doch so viel mehr ist):
Es geht doch, so muss man sagen, in der Anerkennung der Medienrevolution und der Macht der Propaganda längst um etwas anderes, etwas größeres, etwas grundsätzlicheres, fundamentaleres. Nämlich um den Schutz der Öffentlichkeit, verstanden als den geistigen Lebensraum einer liberalen Demokratie.
Zum Journalismus, und wie wir die Prinzipien von gutem Journalismus für uns alle verinnerlichen sollten:
Journalismus ist viel mehr als ein Beruf, viel mehr als eine Profession. Er ist eine Art Kulturtechnik und eine Art Kommunikationsethik, zumindest ideal gedacht - wissend, dass es auch viel schlechten Journalismus gibt - in einer Zeit, in der jeder zum Sender geworden ist. Denn in der Maxime des guten Journalismus liegt tatsächlich ein Prinzip, das sich heute universal anwenden ließe. Maxime des guten Journalismus dergestalt: "prüfe erst, publiziere später", "höre auch die andere Seite", "mache ein Ereignis nicht größer als es ist", "orientiere dich an Relevanz und Proportionalität", "sei skeptisch", "beachte oder analysiere eigene blinde Flecken, Vorurteile und Urteile"... in diesen Maximen des Journalismus, das ist die These, liegt eine Art praktische Utopie, eine Aufbruchsphantasie in Richtung einer redaktionellen Gesellschaft. Und genau das vollziehe sich aktuell in den Schulen, bewerkstelligt durch viele Journalistinnen und Journalisten, die oft in Form eines Ehrenamtes, in ihrer Freizeit, neben der Spur an dieser Graswurzelrevolution der Medienbildung mitarbeiten.
Vielleicht ist das hier ein kleiner, hoffnungsvoller Anfang. Wobei ich ich wirklich frage, wie hoffnungsfroh wir sein können, wenn solch ein wichtiges Thema im Jahr 2022 in ein paar hessischen Schulen mit 70 Klassen pilotiert wird. Es heißt zwar immer "Start small, but start", aber mich macht die deutsche Langsamkeit oft fertig...
Hessen: Pilotprojekt für neues Schulfach Digitale Welt startet — www.golem.de
In einem Pilotprojekt wird in Hessen das neue Unterrichtsfach Digitale Welt eingeführt. Dabei sollen Kompetenzen der Informatik mit einer ökonomischen und ökologischen Bildung verbunden werden. Das Projekt beginnt ab dem neuen Schuljahr im September in zwölf weiterführenden hessischen Schulen mit rund 70 Klassen.
Dies und Das
Über die "Gesamtsituation":
Wie mit dem Russland-Ukraine-Krieg umgehen?
Über die Bedeutung der Wissenschaft:
Ein priceless-Joke zum Crypto-Crash von Ryanair (vielleicht das beste, was je von Ryanair gemacht wurde):
Was ist eigentlich los bei NFT-"Kunst"? (pt. 1)
Was ist eigentlich los bei NFT-"Kunst"? (pt. 2)
Das hier fasst das Krypto-Desaster ganz gut zusammen:
Unser Leben im "Internet":
Ein Schmankerl zum Thema digitale Überwachung:
Corporate Leadership Life... so hard:
Was bedeutet eigentlich "technologieoffen"?
Einfach nur lustig, pt. 1
Einfach nur lustig, pt. 2
Einfach nur lustig, pt. 3
I love the British:
Bye-bye... so long
Nach der langen Pause kommt leider nochmal eine Pause. Urlaub muss sein. In den nächsten Wochen lasse ich nochmal die Beine baumeln und werde faulenzen. Da wird auch sehr viel Lesen dabei sein, aber ich werde keinen zeitnahen Reading-Digest dazu anfertigen. Der nächste kommt dann im Laufe des August. Und ich habe auch Pläne für eine kleine Überarbeitung oder Re-Launch dieses Formats, so um die Ausgabe 100 herum 😉. Wenn ihr dazu Anregungen und Feedback habt, ich würde mich sehr darüber freuen.
Aber jetzt erstmal Euch allen alles Gute, eine schöne Ferienzeit - und kommt gut durch die ultra-heißen Tage. Passt auf Euch auf und bis bald! ☀️🏖️😎