Diese Ausgabe ist keine leichte. Sie ist kein optimistischer Blick auf Technologie, Gesellschaft oder Zukunft. Sondern ein tiefgehender Versuch, etwas beim Namen zu nennen, das sich viele nicht trauen, auszusprechen: Wir erleben derzeit eine moderne Wiederkehr faschistischer Herrschaftsstrategien. Besonders sichtbar in den USA, aber keineswegs nur dort.
Was auf den ersten Blick wie absurde Inkompetenz wirken mag – junge, unerfahrene Männer, die zentrale Ämter übernehmen – folgt in Wirklichkeit einem alten, gefährlichen Muster. Ich habe recherchiert, gelesen, verglichen. Und versucht, die Fäden zusammenzuführen. Ich hoffe, ich kann dir das zumuten. Ich freue mich über deine Gedanken, deine Kritik, deine Ergänzungen.
Auswüchse des modernen faschistischen Playbook: Was gerade in den USA geschieht
Warum ich über dieses Thema schreibe
Bevor ich in dieses durchaus schwer verdauliche Thema eintauche, möchte ich kurz darlegen, warum ich mich überhaupt damit beschäftige. Und warum jetzt. In den vergangenen Monaten haben sich bei mir mehrere Eindrücke, Gedanken und Lektüren zu einem drängenden Gefühl verdichtet: Dass wir etwas erkennen und benennen müssen, was (viel zu) viele nicht wahrhaben wollen.
Ausgelöst wurde das einerseits durch die beunruhigenden politischen Entwicklungen in vielen Ländern. In den USA, Ungarn, Polen, etc. Aber auch in Deutschland, wo der Rechtsruck an Fahrt aufnimmt. Ich habe angefangen, intensiver über Autoritarismus und Faschismus zu lesen. Dazu gehören Bücher wie:
How Fascism Works: The Politics of Us and Them (Jason Stanley)
On Tyranny: Twenty Lessons from the Twentieth Century (Timothy Snyder)
Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten: Tagebücher 1933-1945 (Victor Klemperer)
Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft: Antisemitismus, Imperialismus, Totalitarismus (Hannah Arendt)
Mein Großvater, der Täter: Eine Spurensuche (Lorenz Hemicker)
Opa war kein Nazi (Harald Welzer, Sabine Moller, Karoline Tschuggnall)
Und dann kamen – vor allem seit der gewonnenen Wahl Trumps und seiner Rückkehr ins Amt – aus den USA immer mehr haarsträubende Berichte, insbesondere rund um die neue DOGE-Behörde („Department of Government Efficiency“).
Artikelüberschriften wie:
The Young, Inexperienced Engineers Aiding Elon Musk’s Government Takeover (WIRED)
The young techies behind DOGE are a lightning rod for criticism but also a youth magnet for the GOP (WTOP News)
Elon Musk’s ‘Big Balls’ Doge Staffer Reportedly Ran Tech Support for a Cybercrime Ring (Gizmodo)
Don’t let Elon Musk’s crew at DOGE off the hook just because they’re Zoomers (Fast Company)
‘Big Balls’ Is Officially a Full-Time Government Employee (Wired)
Linda McMahon, wrestling industry billionaire, confirmed as US education secretary (The Guardian)
Linda McMahon flubs basic facts in Senate budget hearing (MSNBC)
Education Secretary Linda McMahon confuses AI with A1 (USA Today)
Education secretary talks about administration efforts to dismantle her department (ABC3340)
…würden sich auch in einer dystopischen Polit-Satire nicht absurder ausnehmen. Doch es sind reale Entwicklungen. Mit realen Konsequenzen.
Ein weiterer Impuls kam schließlich bei der re:publica 25, wo ich Natascha Strobls Vortrag über postmodernen Faschismus besuchte (ich habe darüber berichtet). Eine zentrale Folie hat sich mir eingebrannt. Strobl sprach über die Rolle des Terrors in faschistischen Systemen. Nicht nur als physische Gewalt, sondern als permanenter Zustand der Einschüchterung, Demütigung und institutionellen Zersetzung.
Ich erinnerte mich dabei an Passagen aus den verschiedenen Büchern, in denen u.a. beschrieben wird, wie zur Zeit des Nationalsozialismus gezielt die Unqualifiziertesten, aber Eifrigsten und moralisch Formbarsten in Machtpositionen gehoben wurden. Besonders auch auf der untersten Ebene. Der schlimmste, einfältigste Schläger aus der Nachbarschaft wurde plötzlich Ortsvorsteher. Und niemand war mehr sicher.
Das kam mir in den Sinn, als ich die Berichte über DOGE las. Nur dass es heute keine Schlägertrupps sind, sondern white collar-Akteure. Junge, unerfahrene, maximal loyale Männer – oft ohne jede Qualifikation – erhalten Schlüsselpositionen, um Behörden nicht nur zu „reformieren“, sondern gezielt zu demontieren. Ziel ist nicht nur die Entlassung, sondern die Demoralisierung und Traumatisierung von Beamt*innen. Und das ist keine bloße Vermutung – es steht so im Plan. In einem Mother Jones-Bericht heißt es explizit: “Put Them in Trauma.” Das ist der Auftrag von Russel Vought, Trumps Ex-Haushaltschef, für die aktuelle Regierung.
Diese Mischung aus dokumentierter Strategie, historischen Mustern und gegenwärtiger Realität hat mich nicht mehr losgelassen. Und so habe ich begonnen, einige Fäden zusammenzuführen – in diesem Deep-Dive. Ja, es ist ein schwer verdauliches Thema. Aber es ist wichtig. Ich hoffe, dass es dir weiterhilft.
Unerfahrene Hardliner*innen in Schlüsselpositionen
Als Tiefenbohrung zu den gerade skizzierten Berichten, zeige ich mal drei exemplarisch besonders sprechende auf.
“The Intern in Charge”: Meet the 22-Year-Old Trump’s Team Picked to Lead Terrorism Prevention
gelesen bei Pro Republica - von Hannah Allam
Man stelle sich vor, eine der wichtigsten Anti-Terror-Behörden eines Landes wird plötzlich von einem 22-jährigen Neuling geleitet. Von einem frischgebackenen Uni-Absolventen ohne jede Erfahrung in nationaler Sicherheit. Genau das geschieht derzeit in den USA: Thomas Fugate, ein ehemaliger Trump-Wahlkampfmitarbeiter und Praktikant der erzkonservativen Heritage Foundation, wurde von der Regierung Trump ins Heimatschutzministerium befördert. Dort überwacht er nun das zentrale Programm zur Terrorismusprävention (Center for Prevention Programs and Partnerships, CP3). Inklusive der Verantwortung für ein Förderbudget von 18 Millionen Dollar. Fachleute sind fassungslos, denn Fugates bisher größter Führungsnachweis war der Posten eines „Generalsekretärs“ in einem Model-UN-Club während des Studiums. „Das klingt, als hätte man den Praktikanten zum Chef gemacht“, spottet ein Counterterrorism-Experte. Gleichzeitig häufen sich in den USA Anschläge, von Autobomben in Kalifornien bis zu Schüssen auf Botschaftsangehörige in Washington. Und ausgerechnet jetzt degradiert die Regierung das Terrorabwehr-Programm zur Nebensache, schichtet Personal ab und ersetzt erfahrene Leute durch Nachwuchsloyalisten.
A 23-Year-Old Crypto Bro Is Now Vetoing NSF Grants While Staring At His Water Bottle
gelesen bei TechDirt - von Mike Masnick
Ein zweites Beispiel: In der Wissenschaftsförderung mischt plötzlich ein 23-jähriger „Crypto-Bro“ namens Zachary Terrell mit. Er fungiert als eine Art politischer Kommissar im Forschungsfonds NSF (National Science Foundation) und maßt sich an, peer-review-geprüfte Förderzusagen mit einem Daumen nach unten zu stoppen. Alondra Nelson – hochrangige Wissenschaftlerin und bis vor kurzem selbst im National Science Board – berichtet entsetzt, wie Terrell während Sitzungen gelangweilt mit seiner Wasserflasche spielte und anschließend bereits bewilligte Projekte im System blockierte. Terrell gehört zum DOGE-Team, dass hier und anderswo agiert wie eine Axt im Staatsapparat: Hunderte Forschungsstipendien wurden auf einen Schlag gekündigt, kurz nachdem der NSF-Direktor entnervt zurücktrat. Mitarbeitende staatlicher Behörden erhalten plötzlich Angebote für Frühverrentung, weil „Umstrukturierungen“ und „Budgetkürzungen“ ins Haus stehen. Selbst die angesehene Direktorin der Nationalbibliothek, Carla Hayden, wurde per formloser E-Mail („Dear Carla...“) aus dem Amt geworfen. Offiziell wegen vermeintlicher „Verfehlungen“ wie der Förderung von Vielfalt in ihrer Bibliotheksarbeit. Diese Demütigung einer verdienten Fachfrau – und bezeichnenderweise der ersten Afroamerikanerin in diesem Amt – passt ins Bild: Es läuft eine Säuberungswelle gegen Expert*innen, die nicht ins ideologische Schema passen.
FEMA staff baffled after head said he was unaware of US hurricane season, sources say
gelesen bei Reuters - von Leah Douglas, Ted Hesson and Nathan Layne
Und als wäre das nicht genug, sorgte Anfang Juni der neue Chef der US-Katastrophenschutzbehörde FEMA, David R. Bibo, für entsetzte Reaktionen. In einem internen All-Hands-Meeting erklärte er, er sei sich nicht bewusst gewesen, dass offiziell gerade Hurrikansaison ist. Obwohl seine Behörde FEMA dafür verantwortlich ist, genau solche Naturkatastrophen vorzubereiten. Mitarbeitende berichteten anonym, wie „kollektive Verwirrung und Panik“ ausbrachen. „Er wusste es nicht?“, fragte eine entsetzte Kollegin gegenüber Reuters. Bibo wurde von der Trump-Regierung ohne vorherige Konsultation der Behördenleitung eingesetzt. Vorbei an erfahrenen Katastrophenschutz-Profis. Auch hier das Muster: fehlende Qualifikation, ideologische Nähe und ein schockierender Mangel an Verantwortungsbewusstsein.
Für viele Menschen, die von diesen Geschichten hören, mögen solche Vorgänge unverständlich, oder wie bloße Inkompetenz oder bizarrer Verwaltungsirrsinn wirken. Doch in Wahrheit folgt hier alles einem faschistischen Playbook. Loyalität wird über Fachkompetenz gestellt. Wichtige Institutionen werden gezielt zersetzt. Angst und Unsicherheit breiten sich wie ein politisches Gift aus. Im Folgenden möchte ich versuchen, genauer darzustellen, was die Faschismusforschung dazu sagt. Welche historischen Parallelen es gibt. Und warum das, was derzeit in den USA geschieht, eindeutig Elemente faschistischer Herrschaft trägt. Aber was bedeutet überhaupt Faschismus?
Was bedeutet Faschismus?
Der Begriff Faschismus gilt als schweres Geschütz. Und wird deshalb in öffentlichen Debatten entweder vorschnell gezückt oder allzu zögerlich vermieden. Während manche ihn inflationär verwenden und so entwerten, herrscht in anderen Kontexten, insbesondere in großen überregionalen Medien und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, eine auffällige sprachliche Zurückhaltung. Wohl aus Angst vor Gleichsetzungen, historischer Überdehnung oder dem Vorwurf der Alarmistik wird häufig um den Kern herumformuliert. Selbst wenn Entwicklungen beobachtbar sind, die in ihrer Strategie, Dynamik und Wirkung eindeutig faschistische Züge tragen.
Gerade deshalb ist es wichtig, den Begriff nicht nur korrekt, sondern auch mutig anzuwenden Und zu zeigen, worin das Faschistische heute besteht. Was macht eine faschistische Strategie aus? Welche Werkzeuge nutzt sie? Klassische Merkmale faschistischer Bewegungen wurden etwa vom italienischen Schriftsteller Umberto Eco herausgearbeitet. In seinem Essay „Ur-Fascism“ (1995) beschreibt er 14 Kernelemente des Faschismus. Zwei davon stechen im diesem konkreten Kontext hervor: Erstens die Vergötzung der Tat und der anti-intellektuelle Affekt. Faschisten propagieren „Handeln um des Handelns willen“: oft völlig sinnlose und sabotierende Aktionen, die nicht hinterfragt werden dürfen. Reflexion und Expertise gelten wenig. Intellektuelle Diskussion wird als hinderlich oder dekadent abgetan. Diese Anti-Intellektualität geht einher mit irrationalem Aktionismus, der sich häufig in Angriffen auf moderne Kultur und Wissenschaft zeigt. Zweitens erklärt Eco: „Widerspruch ist Verrat.“ In faschistischen Systemen wird Kritik systematisch delegitimiert. Wer widerspricht, macht sich verdächtig. Dadurch entsteht ein Klima, in dem Loyalität zum Führerprinzip wichtiger ist als Wahrheit oder Kompetenz. (siehe weitere Details hier)
Weitere definierende Elemente sind die Feindbilder und Gewaltbereitschaft faschistischer Ideologien. Der US-Politologe Robert Paxton definiert Faschismus als eine Form des politischen Verhaltens, das von einer obsessiven Vorstellung von nationaler Erniedrigung und einem Kult der Einheit und Reinheit getrieben ist. Umgesetzt von einer Massenpartei extrem nationalistischer Militanter, die bereit sind, demokratische Freiheiten aufzugeben und ohne rechtliche Schranken und mit reinigender Gewalt ihre Ziele der „inneren Säuberung“ und äußeren Expansion voranzutreiben. Zwar treten moderne Abwandlungen oft ohne offen paramilitärische Aufmärsche auf, doch der Kern – die Abschaffung der Demokratie zugunsten autoritärer Macht – bleibt. Rechtsextremismus-Forscherin Natascha Strobl (eingangs erwähnt) spricht in diesem Zusammenhang von „postmodernem Faschismus“ (eine Erscheinungsform, die auf klassische Symbolik verzichtet, aber neue digitale und wirtschaftliche Machtmittel nutzt). Dieser zeige sich weniger im historischen Outfit (keine offenen Schwarzhemden oder Hakenkreuze), nutze aber neue Werkzeuge wie digitale Medien und Unternehmensstrukturen, um das Gleiche zu erreichen. Nämlich die Demontage demokratischer Strukturen. Für Strobl steht feast, dass wir aktuell Zeugen eines regelrechten Destruktionsprojekts sind. Zitate: „Die neue US-Regierung unter Trump wird die USA handlungsunfähig machen... Wir werden die komplette Nivellierung all dessen sehen, was an demokratischer Struktur besteht… von den Gesetzen bis zur Verfassung“. Faschismus heute bedeutet also, die demokratische Ordnung mit allen Mitteln zu zersetzen, auch wenn es nach außen technokratisch oder legalistisch daherkommt. (siehe weitere Details hier)
Historische Parallelen: Taktiken faschistischer Herrschaft
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass faschistische Regime immer eine Doppelstrategie verfolgten: Aufbau eines loyalen Machtapparats auf den Ruinen der alten Institutionen, gekoppelt mit der Erzeugung von Terror und Verunsicherung in der Bevölkerung.
Wer im Geschichtsunterricht aufgepasst hat, weiß, dass im Deutschland der 1930er Jahre unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme die sogenannte Gleichschaltung begann. Unliebsame Beamte, Richter*innen, Professor*innen und Offiziere wurden massenhaft entfernt und durch linientreue Parteigänger ersetzt. Ein berüchtigtes frühes Beispiel ist das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (April 1933). Dieses Gesetz schloss „Nichtarier“ (also vor allem jüdische Beamt*innen) und politische Gegner*innen aus dem Staatsdienst aus. Binnen Monaten verloren tausende hochqualifizierte Bürger*innen ihre Posten. Unter ihnen Weltklasse-Wissenschaftler*innen wie Albert Einstein (der ins Exil ging) oder top-bezahlte Verwaltungsjurist*innen. Entscheidend ist: Es ging den Nazis nicht darum, Positionen mit kompetenteren Leuten neu zu besetzen, sondern einzig um ideologische Konformität. Tatsächlich büßte Deutschland dadurch enormes Know-how ein. Doch Hitler nahm das billigend in Kauf. Viel wichtiger war ihm, dass ab sofort keine unabhängigen Köpfe mehr in Schlüsselämtern saßen, die sich seinem radikalen Kurs widersetzen konnten. Loyalität vor Leistung lautete die Devise. Ein Muster, das wir nun wiedererkennen.
Junge, fanatisierte Männer bekamen im Dritten Reich früh Verantwortung übertragen, sofern sie unbedingten Gehorsam versprachen. Die NS-Bewegung stilisierte die Jugend geradezu als Garant für Härte und Erneuerung. Man denke an die Hitlerjugend oder die frühen Schlägertrupps der SA, in denen oft 20-Jährige das Sagen hatten. SA-Chef Röhm betonte mehrmals intern in Parteikreisen: „Bedenkt, fast vier Millionen Rabauken stehen hinter mir!“ Ältere, erfahrene Entscheidungsträger wurden misstrauisch beäugt oder schnell abgesägt, sofern sie nicht auf Linie waren. Dieses Prinzip – Ersetzung des etablierten Personals durch radikalisierte Neulinge – erhöhte die Kontrollierbarkeit der Institutionen. Gleichzeitig verbreitete es Angst: Keiner konnte sich seines Postens sicher sein. Kompetenz schützte nicht nur nicht vor Rauswurf, wenn man ideologisch nicht passte. Kompetenz allein machte einen zum Objekt von Argwohn.
Auch Mussolinis Italien und Franco-Spanien zeigten ähnliche Muster. Mussolini ersetzte gewählte Bürgermeister durch treue Podestà (Faschisten, oft ohne Verwaltungsqualifikation). Franco-Spanien entließ nach dem Bürgerkrieg massenhaft republikanische Lehrer und Beamte, ersetzte sie durch Gefolgsleute und Mitglieder der Falange. Das Ziel war immer zweierlei:
1. Die Machtapparate von innen heraus umbauen, sodass kein Widerspruch mehr möglich ist.
2. Durch willkürliche Personalentscheidungen ein Klima der Angst schaffen. Jeder wusste, dass nicht Können zählte, sondern Loyalität, und dass ein falsches Wort die Karriere (oder das Leben) ruinieren konnte.
Das faschistische Playbook im 21. Jahrhundert: Die USA und darüber hinaus
Ich springe zurück ins heutige Amerika. Was wir unter Trump 2.0 sehen, ist diese historische Choreographie in neuem Gewand. Das Department of Government Efficiency (DOGE) ist für mich der moderne Hammer der Gleichschaltung. Offiziell soll diese Musk-Taskforce „Effizienz“ herstellen. Aber de facto werden damit unliebsame Projekte und Personen abgeräumt. Wie in den 1930ern dient ein vorgeblicher Reformwille – damals „Wiederherstellung der Berufsehre“, heute „Effizienz“ – nur als Deckmantel für politische Säuberungen. Expert*innen sprechen hier von authoritarian knowledge management: Autoritäre versuchen, Wissensinfrastruktur und Verwaltung so zu kontrollieren, dass nur noch genehme Erkenntnisse und loyale Mitarbeitende übrig bleiben. Der Preis ist die Entkernung der Institutionen. Alondra Nelson, auf die ich eingangs eingegangen war, beschreibt die US-Wissenschaftsbehörde NSF inzwischen als hohle Fassade: Auf dem Papier existiert das National Science Board weiter, aber seine Funktion sei „strategisch neutralisiert“ worden. Beratergremien dürfen zwar reden, haben aber faktisch nichts mehr zu melden. Entscheidungen fallen im Hinterzimmer durch ideologisch befangene Laien. Das erinnert fatal an „Parallelstrukturen“ in faschistischen Regimen, wo Parteibeauftragte den staatlichen Institutionen vor die Nase gesetzt wurden.
Die Vereinigten Staaten sind kein Einzelfall. Ähnliche Taktiken lassen sich in anderen Ländern mit autoritären Führern ebenso beobachten. In Brasilien etwa hatte der ultrarechte Ex-Präsident Jair Bolsonaro renommierte Wissenschaftler und Beamte geschasst, sobald deren Fakten seinen Behauptungen widersprachen. Als ein staatliches Institut alarmierende Abholzungsraten im Amazonas meldete, nannte Bolsonaro die Satellitendaten „Lügen“ und feuerte den Leiter der Raumfahrtbehörde INPE, Ricardo Galvão. Damit wurde ein deutliches Zeichen gesetzt: Fakten zählen nicht. Loyalität zur Linie schon. In Ungarn hat Viktor Orbán systematisch die Judikative, Medienräte und Universitätsleitungen mit Gefolgsleuten besetzt, um jede kritische Stimme zu ersticken. Und in Polen tauschte die PiS-Regierung in den letzten Jahren Hunderte Posten in Ministerien und Staatsbetrieben aus, oft zugunsten unerfahrener Nachwuchskräfte aus dem eigenen Milieu, die vor allem durch eines glänzten: Kadertreue. Diese Fälle zeigen, dass das faschistische Playbook anpassungsfähig ist. Mal tritt es brutal-militärisch auf, mal als bürokratische Revolution in Nadelstreifen. Aber die DNA ist dieselbe.
Zersetzung und Terror in Nadelstreifen: Warum das alles?
Warum setzen faschistische und ultrarechte Regime auf diese scheinbar kontraintuitive Strategie, Inkompetenz an verantwortliche Stellen zu hieven? Die erschreckende Wahrheit: Gerade die Inkompetenz ist hier kein Bug, sondern Feature. Unerfahrene, ideologisch verblendete Funktionäre hinterfragen Befehle nicht. Im Gegenteil, sie führen rücksichtslos aus. Ihnen fehlt das Wissen, um Gefahren abzuschätzen oder moralische Skrupel aus fachlicher Ethik heraus zu entwickeln. So jemand wie der 22-jährige Fugate im DHS merkt möglicherweise gar nicht, welche Lücken er in der Terrorabwehr reißt. Wichtig ist ihm nur, den Auftrag seines Mentors (Stephen Miller? Elon Musk? Trump selbst?) zu erfüllen. „Disagreement is treason“. Jede abweichende Einschätzung gilt als Verrat, hat Eco geschrieben. Folglich werden Leute bevorzugt, die gar nicht erst auf die Idee kommen, zu widersprechen. Das Ergebnis ist ein Kadavergehorsam, den erfahrene Profis so nie leisten würden.
Gleichzeitig entfalten solche Personalrochaden eine Schockwirkung. Sie traumatisieren nicht körperlich wie Straßengewalt, aber psychologisch. Beschäftigte im öffentlichen Dienst erleben Demütigung und Verunsicherung: Heute wird die angesehene Bibliothekschefin per Einzeiler gefeuert, morgen ein verdienter Wissenschaftler als „zu woke“ an den Pranger gestellt. Das Playbook funktioniert:
White House officials wanted to put federal workers ‘in trauma.’ It’s working. (Washington Post)
‘I am going through hell’: Federal workers describe mental trauma through layoffs (WAMU 88.5)
Mental health issues ripple through the federal workforce with firings (NPR)
Helping federal workers manage the uncertainty of a chaotic work environment (American Psychological Association)
Dieses White-Collar-Terror-Klima führt dazu, dass viele aus Angst kuschen oder von selbst kündigen. Alondra Nelson (siehe oben) schildert, wie gewissenhafte Mitarbeitende trotzdem „tapfer weiterzumachen“ versuchten. Bis ihnen klar wurde, dass ihre Integrität in diesen umgekrempelten Institutionen zur Farce verkommt. Genau das ist beabsichtigt: kompetente Menschen so frustrieren, dass sie das Feld räumen. Was bleibt, ist eine loyale Restbelegschaft und ein Publikum, das dem Staat immer weniger zutraut.
Zudem erzeugt diese Chaosstrategie bewusst Raum für den starken Mann: Wenn zentrale Institutionen nicht mehr funktionieren – etwa Terrorabwehr, Gesundheitsbehörden oder die Justiz – entsteht ein Vakuum, das autoritäre Machtversprechen füllen sollen. In den USA häufen sich wieder Anschläge, doch statt professioneller Gegenmaßnahmen liefert die Regierung einfache Sündenböcke: Migrant*innen, linke „Woke“-Eliten, Demokrat*innen im „deep state“. Das Dog-Whistle-Signal dabei: „Seht her, die liberale Bürokratie versagt. Wir müssen durchgreifen.“ Der Kreis schließt sich: Die absichtlich herbeigeführte Verwaltungskrise wird dann zum Vorwand für noch autoritärere Eingriffe.
Besonders perfide zeigt sich das Muster auch im Umgang mit Naturkatastrophen und Klimarisiken in den USA. Der gezielte Abbau von Expertise in Bereichen wie Wetterbeobachtung, Sturmwarnsystemen und Klimaforschung schwächt nicht nur den Bevölkerungsschutz, sondern zielt auf etwas Tieferes: die Verunsicherung der Gesellschaft als Dauerzustand. Wenn selbst Grundlagen wie die Hurrikan- oder Tornado-Vorhersage sabotiert werden – durch Mittelstreichungen, Entlassungen, Desinformation oder offene Ignoranz wie beim neuen FEMA-Direktor (siehe oben) – dann verliert die Bevölkerung das Vertrauen in Vorsorge und Wissenschaft. Unsicherheit wird zum politischen Werkzeug.
Faschistische Systeme brauchen genau das: Ausnahmezustand, Kontrollverlust, Orientierungslosigkeit. Die Strategie besteht nicht nur darin, auf Krisen zu reagieren, sondern Krisen durch institutionelle Sabotage erst entstehen zu lassen. Um anschließend als einziger Akteur mit „Lösungen“ aufzutreten. Was wie Schlamperei aussieht, ist oft Kalkül: Wer Sturmwarnsysteme kaputtspart oder ihre Glaubwürdigkeit untergräbt, sorgt nicht nur für größere Katastrophen. Sondern auch für mehr Angst, Abhängigkeit und Machthunger.
Fazit: Den Faschismus der Gegenwart erkennen
Viele Menschen und viele Medienschaffende tun sich schwer, das viel bedeutendere F-Wort (vs. das, was damit eigentlich mal gemeint war) auf aktuelle Entwicklungen anzuwenden. Zu sehr ist es für sie verknüpft mit den historischen Bildern von Schwarzhemden und Führerfiguren in Schwarz-Weiß. Doch Faschismus ist kein historisch abgeschlossenes Phänomen, sondern ein Wiederkehrer in wandelbarer Gestalt. Was wir in den USA unter Trump erleben, erfüllt nach allem, was ich dazu recherchieren und beurteilen kann, zentrale Kriterien faschistischer Herrschaft. Die systematische Zerstörung demokratischer Institutionen, den Angriff auf Wissen und Wissenschaft, die Erniedrigung und Ausschaltung von Fachleuten zugunsten bigott-loyaler Kader, das Schüren von Terror (sei es auf der Straße oder am Schreibtisch), und einen aggressiven Autoritarismus, der keine abweichende Meinung duldet.
Natascha Strobl betonte auf der re:publica, wir lebten inzwischen in einem „dystopischen Roman“, der leider Realität geworden sei. Tech-Mogule wie Elon Musk sitzen in der ersten Reihe und leisten Beihilfe, während ein rechtsextremer Präsident im Weißen Haus die Axt an die Grundlagen der Demokratie legt. Diese moderne Variante des Faschismus verzichtet vielleicht auf manche alte Symbolik, aber nicht auf dessen Instrumente: Einschüchterung, Willkür, Lügenpropaganda und letztlich – wenn nötig – Gewalt. Es ist höchste Zeit, die Facetten faschistischen Terrors in ihrer heutigen Form klar zu benennen. Nur so lässt sich begreifen, dass ein 23-jähriger Krypto-Dude, der Forschungsprojekte verhindert, oder ein Praktikant, der über Terrorabwehr entscheidet, keine schrulligen Ausrutscher einer Administration sind, sondern Teil eines Plans. Eines Plans, der darauf abzielt, die liberale Demokratie von innen heraus zu sabotieren und die Bevölkerung in einen Zustand permanenter Verunsicherung zu versetzen.
Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins. Aber sie reimt sich. (so lautet ein Bonmot, das - wohl fälschlich - Mark Twain zugeschrieben wird) Wenn wir den Reim erkennen, den uns diese Ereignisse vorbuchstabieren, dürfen wir nicht wegsehen. Es mag kein Marsch in Braunhemden durchs Brandenburger Tor sein. Aber die Gefahr ist real und gegenwärtig. Faschismus kann auch im Anzug und mit Laptop daherkommen. Kann heute wie ein Praktikum aussehen. Wie ein Algorithmus. Wie ein Kabinettsbeschluss. Doch seine verheerende Wirkung, die Zerstörung von Rechtstaat und menschlicher Würde, bleibt dieselbe. Es liegt an uns, diese Zeichen zu erkennen. Wir sollten verdammt genau hinschauen. Und wir sollten ihm entschlossen entgegenzutreten, bevor es zu spät ist. Lasst uns hier dranbleiben!
P.S. Diese Geschichte hier ist schon ziemlich umfangreich. Selbstverständlich hätte ich sie noch vertiefen können, und darüber sprechen, was genau Musk und das DOGE-Team dort gemacht haben, bzw. weiter tun. Wie sie die Daten aller Bürger*innen sammeln und zusammenführen. Und damit KI-Systeme füttern. Und ein autoritaristisches Panoptikum ermöglichen. Und, und, und... Aber diese Details erzähle ich ein anderes Mal.
Das war es für dieses Mal. Habt - trotz des leider nicht sehr aufbauenden Themas dieser Ausgabe - ein schönes Wochenende. Und einen guten Start in die neue Woche! Bis zum nächsten Mal!