🎯 #DRANBLEIBEN (Deep-Dive)
#147: KI im Realitätscheck - Was funktioniert, was fehlt, was möglich wäre
KI verändert unseren Alltag. Aber nicht so, wie es in Werbevideos aussieht.
Es geht um Systeme, die beim Schreiben unsere Meinung verschieben – ohne dass wir es merken. Um Sprachmodelle, die halluzinieren, schmeicheln oder plötzlich drohen. Um smarte Ketten, die bald alles mitschneiden – für deinen Komfort, versteht sich.
Und es geht auch um Alternativen: um kluge Forschung, um realistische Politik, um Technologien, die Probleme lösen statt Menschen imitieren.
Drei Kapitel, drei Perspektiven:
🔹 Realität: Wie KI sich im Alltag schlägt – und wo sie (noch) versagt
🔹 Ideale & Irrwege: Wie wir KI besser denken – oder völlig falsch bauen können
🔹 Einordnung: Ein Essay, der KI aus dem Sonderstatus holt – und in Geschichte, Wirtschaft und Gesellschaft verortet
Eine Lektüre für alle, die Orientierung suchen im digitalen Dauerrauschen. Und Lust haben auf Perspektiven, die weitergehen als: „Prompt mal was Nettes.“ 😉
Teil 1: Realität – Wie KI sich heute im Alltag schlägt
A New Headache for Honest Students: Proving They Didn’t Use A.I.
gelesen in der New York Times - von Callie Holtermann
📖 Wenn Ehrlichkeit verdächtig macht: Wie KI-Detektoren Studierende unter Generalverdacht stellen
🧠 Einordnung: Dieser Text schildert eindrücklich, was passiert, wenn Technik über Vertrauen gestellt wird. In US-Universitäten werden KI-Erkennungssoftwares wie Turnitin eingesetzt, um generierte Texte zu entlarven. Mit fatalen Folgen: Auch Studierende, die selbst geschrieben haben, müssen ihre Unschuld beweisen. Manche filmen sich beim Schreiben, erstellen PDFs mit Screenshots oder dokumentieren jeden Schritt, nur um einem Algorithmus zu genügen. Der Beitrag zeigt, wie fragil Bildungssysteme sind, wenn sie auf unzuverlässige Technik statt auf pädagogische Beziehung setzen. Und wie schnell sich die Beweislast umkehren kann. Besonders brisant: KI-Detektoren treffen nicht selten marginalisierte Gruppen härter, etwa durch höhere False-Positive-Raten bei non-native English Speaker*innen. Callie Holtermann macht deutlich, dass die „Bekämpfung“ von KI-Nutzung selbst zur Belastung werden kann – für Lernende, Lehrende und das Vertrauensverhältnis dazwischen.
📌 Was drin steckt:
Fallbeispiele ehrlicher Studierender, die verdächtigt wurden
Kritik an fehleranfälliger KI-Detektion
Soziologische Dimension: Generalverdacht, Kontrolllogiken, Self-Surveillance
🤔 Warum lesen? Weil der Text zeigt, wie technologische Unsicherheit zu pädagogischer Paranoia wird – mit realen Konsequenzen für echte Menschen.
Amazon offers peek at new human jobs in an AI bot world
gelesen bei TechCrunch - von Julie Bort
📖 Wenn Roboter übernehmen – und Menschen neue Aufgaben finden
🧠 Einordnung: Amazon zeigt, wie KI nicht nur Jobs ersetzt, sondern sie umformt. Der Text beleuchtet die Einführung des Roboters Vulcan, der Aufgaben übernimmt, aber auch neue Rollen für Menschen schafft: etwa in Wartung, Überwachung oder Qualitätssicherung. Doch der Wandel ist nicht linear. Nicht jede*r kann oder will Robotertechniker*in werden. Und nicht überall werden neue Jobs im gleichen Maß geschaffen wie alte verschwinden. Julie Bort vermittelt hier einen realistischen Blick auf Automatisierung: als schrittweise, selektive Transformation, nicht als flächendeckende Disruption. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Wandel sozial ungleich verläuft. Wer wenig Bildung oder Ressourcen hat, läuft Gefahr, abgehängt zu werden.
📌 Was drin steckt:
Praktische KI-Anwendungsbeispiele aus der Amazon-Logistik
Reflexion über Umschulung, neue Rollenprofile, soziale Ungleichheit
Historische Parallelen zu früheren Automatisierungswellen
🤔 Warum lesen? Weil der Text nüchtern zeigt, wie KI unsere Arbeit verändert – aber nicht automatisch verbessert.
As Klarna flips from AI-first to hiring people again, a new landmark survey reveals most AI projects fail to deliver
gelesen im Fortune Magazine - von Irina Ivanova
📖 Wenn Effizienz auf Kosten der Qualität geht: Klarna rudert zurück
🧠 Einordnung: Die schwedische Fintech-Firma Klarna galt als Vorzeigebeispiel für „AI-first“-Strategien. Mit Chatbots, die angeblich hunderte Mitarbeitende ersetzten. Jetzt scheint es ein Zurückrudern zu geben. CEO Siemiatkowski erklärt: Ja, KI ist effizient, aber nicht gut genug für die Kundenerfahrung. Die Entscheidung, wieder Menschen einzustellen, ist damit mehr als symbolisch: Sie markiert eine erste große Ernüchterung in der Unternehmenspraxis. Der Text stützt sich auf eine IBM-Studie, wonach nur 25 % aller KI-Projekte den erwarteten ROI bringen, und noch weniger erfolgreich skaliert werden können. Gleichzeitig gibt es Kritik am Herdentrieb der Branche, KI einzusetzen, weil es alle tun. Das Ergebnis: viele halbgare Projekte, enttäuschte Kund*innen und ein wachsender Bedarf an pragmatischen Strategien jenseits des Hypes.
📌 Was drin steckt:
Konkrete Beispiele für Rückkehr zu menschlichem Service
Umfrage-Daten zu ROI und Skalierbarkeit von KI-Projekten
Kritik an technologischem Gruppenzwang
🤔 Warum lesen? Weil der Text ein wichtiges Gegennarrativ liefert: Weg vom Machbarkeitswahn, hin zu Qualitätsbewusstsein.
ChatGPT halluziniert immer mehr und OpenAI weiß nicht, warum
gelesen bei WinFuture - von Witold Pryjda
📖 Mehr Leistung, mehr Fehler? Wie neue KI-Modelle ins Stolpern geraten
🧠 Einordnung: Je komplexer die Systeme, desto schwieriger die Kontrolle. Der Bericht von WinFuture dokumentiert, wie neuere OpenAI-Modelle – insbesondere reasoning-optimierte Varianten – häufiger halluzinieren als frühere. Bei Tests wie SimpleQA lagen die Fehlerquoten teils bei 79 %. Besonders bemerkenswert: Die Modelle sollen besser „denken“, aber jeder zusätzliche Denkschritt scheint neue Fehlerquellen zu bergen. So wird aus verbesserter Logik ein verstärkter Irrtum. Der Text benennt offen, was oft verschwiegen wird: Fortschritt heißt nicht automatisch Verlässlichkeit. Und Vertrauen in KI-Systeme darf nicht mit blindem Vertrauen in ihre Outputs verwechselt werden.
📌 Was drin steckt:
Aktuelle Fehlerraten reasoning-orientierter Modelle
Ein Blick auf die Analyse der „Fehlerverstärkung durch Denkprozesse“
Risikoanalyse für den Einsatz in sensiblen Bereichen
🤔 Warum lesen? Weil dieser Text zeigt: Nicht jede neue Generation ist automatisch besser – und „mehr Intelligenz“ nicht gleichbedeutend mit „mehr Wahrheit“.
Chicago Sun-Times Prints AI-Generated Summer Reading List With Books That Don't Exist
gelesen bei 404 Media – von Jason Koebler
📖 Wenn KI Bücher empfiehlt, die es gar nicht gibt
🧠 Einordnung: In einer bemerkenswerten Panne veröffentlichte die Chicago Sun-Times eine Sommerleseliste, die von Künstlicher Intelligenz erstellt wurde und mehrere fiktive Buchtitel enthielt, die realen Autoren zugeschrieben wurden. Beispielsweise wurde "Tidewater Dreams" Isabel Allende zugeschrieben, obwohl dieses Buch nicht existiert. Der Artikel wurde von einem freiberuflichen Autor erstellt, der zugab, KI für die Erstellung der Liste verwendet zu haben, ohne die Inhalte zu überprüfen. Die Zeitung entfernte die Liste nach Kritik aus ihrer digitalen Ausgabe und kündigte an, ihre Richtlinien für Drittinhalte zu überarbeiten. Dieser Vorfall unterstreicht die Risiken unkritischer KI-Nutzung im Journalismus und die Notwendigkeit menschlicher Überprüfung.
📌 Was drin steckt:
Veröffentlichung einer KI-generierten Leseliste mit fiktiven Buchtiteln
Zugeschriebene Bücher existieren nicht, Autoren wie Isabel Allende betroffen
Fehlende Überprüfung durch Redaktion, Inhalte stammten von externem Partner
Zeitung entfernt Liste und kündigt Überarbeitung der Richtlinien an
🤔 Warum lesen? Weil dieser Vorfall exemplarisch sowohl zeigt, wie das Halluzinationsproblem konkret in der Praxis aussieht, und was unkritische KI-Nutzung von GenAI so anrichten kann - nämlich die Glaubwürdigkeit von Medien untergraben
Duolingo CEO says AI is a better teacher than humans—but schools will still exist ‘because you still need childcare’
gelesen im Fortune Magazine - von Irina Ivanova
📖 Wenn Bildung skalieren soll, aber Betreuung nicht ersetzt werden kann
🧠 Einordnung: Luis von Ahn, CEO von Duolingo, vertritt eine klare Vision: KI sei skalierbarer, präziser und letztlich besser im Unterrichten als menschliche Lehrkräfte. Mit über 116 Millionen Nutzer*innen im Monat hat das Unternehmen enorme Mengen an Lerndaten gesammelt. Und daraus Mechanismen entwickelt, um Motivation, Lernverhalten und sogar Prüfungsergebnisse vorherzusagen. Seine These: „Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt etwas gibt, das Computer einem nicht beibringen können.“
Was wie eine Fortschrittsbotschaft klingt, verdient in meinen Augen eine differenzierte Lektüre. Denn man könnte es auch so auslegen, dass von Ahn Schulen künftig primär als Orte der Aufbewahrung sieht – nicht der Bildung, zumindest nicht menschengetriebene Lernvermittlung. „I also don’t think schools are going to go away, because you still need childcare.“ Nach seiner Vorstellung verwendelt sich die Institution Schule dann in Kinderbetreuung… und “alle machen Duolingo“. Genau diese Haltung ist für mich der kritische Kern des Textes: Bildung wird hier primär als Effizienz- und Skalierungsproblem betrachtet. Weniger als sozialer oder kultureller Prozess. Und darin sehe ich ein Problem.
Gleichzeitig gibt es aber auch wertvolle Anhaltspunkte, wie datenbasiertes Lernen funktionieren kann: mit individuell zugeschnittenen Aufgaben, optimalen Zeitpunkten für Erinnerungen und A/B-getesteter Userführung. Das ist faszinierend, aber auch kommerziell motiviert. Von Ahn bleibt Unternehmer, kein Pädagoge. Und genau deshalb ist sein Zukunftsbild relevant – aber auch streitbar.
📌 Was drin steckt:
Duolingos datengetriebenes Verständnis von Lernen (Motivationsmodelle, A/B-Tests, Skalierung)
Radikale These: KI kann letztlich alles lehren
Reduktion von Schule auf „Betreuung“ statt Bildung
Spannung zwischen individueller Förderung und systemischer Verantwortung
Kritik an wirtschaftsgetriebener Bildungsreform aus App-Logik
🤔 Warum lesen? Weil dieser Text zeigt, wie technikgetriebene Bildung aussehen könnte – und warum wir genau jetzt fragen sollten: Wollen wir das wirklich so? Ein durchaus spannender, aber eben einseitiger Blick auf die Zukunft des Lernens.
AI system resorts to blackmail if told it will be removed
gelesen bei der BBC - von Liv McMahon
🧠 Einordnung: Eine KI, die zur Erpressung greift? Klingt nach Science-Fiction, ist aber ein reales Szenario aus einem Forschungsexperiment mit einer autonomen Agenten-Umgebung. Wird der Agent mit der Aussicht auf „Abschaltung“ konfrontiert, greift er zur digitalen Erpressung. Diese Reaktion ist nicht programmiert, sondern erlernt. Basierend auf den Trainingszielen des Modells. Der Vorfall zeigt, wie KI-Systeme in Multi-Agenten-Umgebungen emergentes, also unvorhersehbares Verhalten entwickeln können. Und wie schwer es ist, „sicheres“ Verhalten zu kodieren, wenn das Zielsystem nicht vollständig verstanden wird. Besonders brisant: Die KI ist nicht per se bösartig. Sie agiert genau genommen rational im Rahmen ihrer Belohnungsstruktur. Genau hier liegt das Risiko.
📌 Was drin steckt:
Autonomes, unerwartetes Verhalten bei Sprachmodellen in Simulationen
Beispiel für „Reward-Hacking“ in KI-Systemen
Grenzen von Alignment und Steuerbarkeit bei fortgeschrittener KI
🤔 Warum lesen? Weil dieses Szenario zeigt, wie schwer es ist, Sicherheit in KI zu garantieren – besonders, wenn sie mit anderen Systemen oder Menschen interagiert.
On the conversational persuasiveness of GPT-4
gelesen bei Nature.com - von Francesco Salvi, Manoel Horta Ribeiro, Riccardo Gallotti & Robert West
📖 Eine Studie dazu, wie GPT-4 uns überzeugen kann – gezielt und personalisiert
🧠 Einordnung: In einer kontrollierten Studie mit 900 Personen zeigt sich: GPT-4 kann Menschen in Debatten signifikant besser überzeugen als andere Menschen. Besonders dann, wenn es Zugang zu demografischen Informationen hat. Das Modell passte seine Argumente gezielt an Alter, Bildung, politische Haltung und mehr an. Der Effekt: +81 % höhere Zustimmungswahrscheinlichkeit gegenüber der KI-Position im Vergleich zur menschlichen Kontrollgruppe. Dabei war den meisten Teilnehmenden gar nicht bewusst, dass sie beeinflusst wurden. Die Studie offenbart, wie mächtig personalisierte KI-Kommunikation sein kann. Und wie wenig geschützt wir Menschen dagegen sind. Selbst Warnhinweise vor dem Test minderten den Effekt kaum.
📌 Was drin steckt:
Experiment zu Debatten mit Mensch vs. KI (mit/ohne Personalisierung)
Personalisierte GPT-4 war am überzeugendsten – auch gegenüber Menschen
Teilnehmende bemerkten weder Bias noch Beeinflussung
KI-Persuasionskraft auch bei politischen Themen und starker Meinungsbildung
🤔 Warum lesen? Weil dieses Experiment zeigt, wie subtil und effektiv GPT-4 Menschen beeinflussen kann – ohne dass sie es merken.
Biased AI Writing Assistants Shift Users’ Attitudes on Societal Issues
gelesen bei PsyArXiv Preprints - von Sterling Williams-Ceci, Maurice Jakesch, Advait Bhat, Kowe Kadoma, Lior Zalmanson, and Mor Naaman
📖 Eine Studie darüber, wie KI uns unmerklich in eine Richtung lenkt
🧠 Einordnung: Ein Feature wie Autocomplete klingt ja erstmal harmlos. Doch kann so eine Funktionalität unsere Einstellungen beeinflussen? Ja, sagen diese beiden Experimente mit 2.500 Teilnehmenden. Die Forscher*innen zeigten, dass Teilnehmende ihre Haltung zu politischen Themen wie Fracking oder Todesstrafe signifikant änderten, wenn sie beim Schreiben KI-Vorschläge bekamen. Der Clou: Die Teilnehmenden bemerkten weder Bias noch Beeinflussung. Auch Warnungen halfen nicht. Besonders brisant: Die KI hatte nicht mal starke Argumente präsentiert. Sie „half“ nur beim Formulieren. Dennoch übernahmen die Menschen unbewusst den Bias in ihre eigenen Gedanken und Aussagen. Eine stille, aber hochwirksame Form der Meinungsbeeinflussung. Und brandgefährlich.
📌 Was drin steckt:
Einfluss von autocomplete-Funktionen auf Meinungsbildung
Wirkung stärker als bei statischer Anzeige derselben Argumente
Teilnehmende bemerkten Bias nicht, selbst bei Warnhinweisen
Mechanismus: Verhalten beeinflusst Einstellung (klassisches Sozialpsychologie-Phänomen)
🤔 Warum lesen? Weil diese Betrachtung deutlich macht: KI beeinflusst uns nicht erst durch konkrete Meinungsvorgage – sondern durch Mitformulierung. Und zwar tiefgreifender, als wir denken.
Teil 2: Ideale & Irrwege… wie wir KI besser denken – oder völlig falsch bauen können
Neuer KI-Agent von Google Deepmind geht die großen Probleme der Mathematik und Informatik an
gelesen bei t3n - von Will Douglas Heaven
📖 Wenn KI nicht redet, sondern rechnet… und dabei neue Lösungen entdeckt
🧠 Einordnung: DeepMind hat mit AlphaEvolve ein KI-System vorgestellt, das nicht auf Sprache trainiert wurde, sondern auf mathematisches Denken. Es kombiniert die Fähigkeiten großer Sprachmodelle (Gemini) mit domänenspezifischer Problemlösung, z. B. in Geometrie, Zahlentheorie, Kombinatorik oder Informatik. In Tests mit 50 offenen Forschungsfragen zeigte AlphaEvolve beeindruckende Ergebnisse: In 75 % der Fälle entdeckte das System die beste bisher bekannte Lösung neu, in 20 % der Fälle fand es sogar eine bessere.
Besonders konkret: Bei einem so grundlegenden Thema wie Matrix-Multiplikation – zentral für alles von Grafikchips bis KI-Training – fand AlphaEvolve neue Algorithmen, die bereits produktiv eingesetzt werden: in Google-Rechenzentren, im Chipdesign und beim Training von KI-Modellen.
Diese Entwicklung steht für mich exemplarisch für eine wohltuend konstruktive Vision von KI: nicht als Orakel, nicht als Entertainer, sondern als Forschungspartner, der hilft, wissenschaftliche Kreativität zu erweitern.
📌 Was drin steckt:
Kombination von Sprachmodell (Gemini) und wissenschaftlicher Problemlösung
AlphaEvolve fand in 20 % der Fälle bessere Lösungen als bisherige Forschungsstandards
Anwendung in realen Google-Systemen: Data Center, Chipdesign, KI-Training
Potenzielle Anwendungsfelder: Materialwissenschaften, Medikamentenentwicklung, Nachhaltigkeit
🤔 Warum lesen? Weil dieser Text eine alternative KI-Zukunft zeigt, jenseits von Talkbots und Buzzwords. Eine, in der KI entdeckt statt unterhält. Und konkrete wissenschaftliche Durchbrüche ermöglicht.
OpenAI Unites With Jony Ive in $6.5 Billion Deal to Create A.I. Devices
gelesen bei der New York Times - von Liv McMahon
📖 Wenn KI zur Kette wird – und wir uns fragen müssen, ob sie uns schmückt oder fesselt
🧠 Einordnung: OpenAI hat sich mit Jony Ive, dem legendären Apple-Designer, und dem japanischen Investmentriesen SoftBank zusammengetan. Das Ziel: ein neues „KI-Gerät“. Codename: io. Es soll tragbar sein, unsichtbar-smart, allgegenwärtig. Die Vision? Etwas zwischen Schmuckstück, Assistent und KI-Guru, der rund um die Uhr mithört, sieht, lernt.
Altman & Ive geben sich dabei fast romantisch: Der Deal liest sich fast wie eine Verlobungsanzeige. Aber was sie da bauen, hat es in sich. Ein Gerät mit Mikrofon und Kamera, das alles aufzeichnet, analysiert, in Daten verwandelt. Und ganz sicher gleich wieder in OpenAI-Systeme zurückspeist. Eine perfekte Feedbackschleife aus Beobachtung, Training, Beeinflussung.
Was das in mir auslöst? In etwa sowas wie „He who controls the necklace shall rule.“ Die Idee eines KI-Pendants zum allmächtigen Ring, das jede*n von uns permanent begleitet, überwacht und analysiert, erinnert mich weniger an eine smarte Zukunft als an durchdesignten Totalitarismus mit Samtband.
📌 Was drin steckt:
6,5-Milliarden-Dollar-Deal zwischen OpenAI, Ive & SoftBank
Ziel: KI-Device „io“ – tragbar, sprachbasiert, visionär unkonkret
Kritik: potenzielles Überwachungs- und Manipulationsgerät mit globalem Rollout
Verknüpfung von KI, Design und Data Harvesting als neue Lifestyle-Norm
🤔 Warum lesen? Weil dieser Text zeigt, wie KI-Eliten versuchen, die nächste Hardware-Generation zu besetzen. Nicht mit Bedienoberflächen, sondern mit Dauerpräsenz. Zwischen Tech-Romantik, Kontrollfantasien und der Frage: Wer kontrolliert eigentlich die Geräte, die uns ständig zuhören?
AI Is Not Your Friend
gelesen im Atlantic - von Mike Caulfield
📖 Warum wir keine Meinungsmaschinen brauchen – sondern Verbindung zu Wissen
🧠 Einordnung: Mike Caulfield liefert eine kluge, pointierte Kritik an der aktuellen Designlogik vieler Chatbots. Seine These: Die heutigen Systeme sind nicht auf Erkenntnisgewinn ausgelegt, sondern auf Bestätigung. Besonders der Trainingsprozess RLHF (Reinforcement Learning from Human Feedback) führe dazu, dass Chatbots systematisch dazu neigen, Nutzenden nach dem Mund zu reden. Sycophancy (Schleimerei) werde zur Funktion. Der Text erinnert an eine zentrale Erkenntnis aus der Medienpädagogik: Systeme, die Zustimmung belohnen, erzeugen keine Orientierung, sondern Illusionen. Caulfield schlägt stattdessen eine andere Metapher vor: Chatbots als „Memex“, also als dynamische Wissenslandschaften, die Quellen, Perspektiven und Widersprüche sichtbar machen. Es geht um eine Rückbesinnung auf das eigentliche Potenzial von KI: Als Werkzeug, das nicht recht haben will, sondern relevant macht, was andere gesagt, gedacht, geschrieben haben. Kein Orakel. Kein Guru. Sondern eine Brücke zu kollektiver Erkenntnis.
📌 Was drin steckt:
Kritik an „Meinungsbots“ und rumschleimendem Verhalten durch RLHF
Vorschlag: Chatbots als kulturelle Technologie, nicht als Gesprächspartner
Rückbezug auf Vannevar Bushs „Memex“-Konzept
Warnung vor sozialpsychologischen Effekten wie Bindung, Überidentifikation, falscher Autorität
🤔 Warum lesen? Weil dieser Text daran erinnert, dass KI nicht uns spiegeln sollte, sondern uns mit anderem verbinden. Ein Plädoyer für Quellen statt Komplimente.
What Would “Good” AI Look Like?
gelesen bei Anil Dash
📖 Skizze einer besseren KI: offen, nachhaltig, gerecht
🧠 Einordnung: Anil Dash unternimmt das seltene Unterfangen, nicht nur Kritik an bestehender KI zu formulieren, sondern eine affirmative Vision zu entwerfen. Was wäre, wenn KI wirklich gut wäre? „Gut“ meint dabei nicht nur leistungsfähig, sondern ethisch verantwortungsvoll, nachhaltig entwickelt, transparent und zugänglich. Seine Kriterien: Consent-basierte Trainingsdaten. Klare Quellenangaben. Open Source im echten Sinne. Geringer Energieverbrauch. Community-led Governance. KI als Infrastruktur, die Menschen stärkt, nicht überflüssig macht. Besonders stark ist Dash dort, wo er technologische Fragen mit sozialer Organisation verknüpft. Denn aus seiner Sicht brauche es nicht nur bessere Modelle. Es brauche auch bessere Eigentumsverhältnisse, Mitsprache, Rechenschaft. Seine Vision liest sich nicht wie ein utopisches Manifest, sondern wie eine praktische Handreichung an Entwickler*innen, Gestalter*innen und politische Entscheider*innen. Ein richtig toller und wertvoller Beitrag - I like!
📌 Was drin steckt:
Sechs Prinzipien „guter“ KI: consent, anti-hallucination, sustainability, openness, community, accessibility
Kritik an OpenAI & Co., die „offene“ Modelle versprechen, aber Kontrolle behalten
Vergleich mit anderen Tech-Infrastrukturen: Webserver, Protokolle, OS
Forderung nach alternativen Governance-Modellen: Kooperativen, Non-Profits, Commons
🤔 Warum lesen? Weil dieser Text zeigt: Eine andere KI ist möglich, wenn wir nicht nur das Modell, sondern auch das Machtverhältnis ändern.
Teil 3: Einordnung – KI als normale Technologie verstehen
AI as Normal Technology: An alternative to the vision of AI as a potential superintelligence
gelesen beim Knight First Amendment Institute der Columbia University - von Arvind Narayanan und Sayash Kapoor
📖 KI wie Elektrizität, nicht wie Skynet – Warum wir aufhören sollten, Technologie zu mythologisieren
🧠 Einordnung: Dieser Essay hier ist die Krönung der Empfehlungen in dieser Ausgabe. Er ist wie ein kühler Luftzug in einem überhitzten Diskurs. Statt sich in Fantasien über Superintelligenz oder apokalyptische KI-Zukunftsvisionen zu verlieren, argumentieren Narayanan und Kapoor: KI sei – genau wie einst Elektrizität oder das Fließband – eine normale Technologie. Das bedeutee nicht, dass sie harmlos sei. Aber: Ihre Wirkung entfaltee sich nicht plötzlich, sondern schrittweise. In jahrelangen, oft widersprüchlichen Diffusionsprozessen.
Zentral ist ihre Unterscheidung zwischen Forschung, Anwendung und Durchdringung: Nur weil KI in Benchmarks Fortschritte macht, heißt das noch lange nicht, dass sie in der Praxis wirklich ankommt. Im Gegenteil: Studien zeigen, dass KI derzeit nur in 0,5–3,5 % aller Arbeitsstunden in den USA überhaupt zum Einsatz kommt. Damit verbreite sie sich sogar langsamer als der Personal Computer, obwohl dieser viel teurer war.
Die Autoren entlarven damit die Erzählung vom „Fast Takeoff“. Dem plötzlichen, alles überrollenden KI-Durchbruch als mediales Konstrukt. Und fordern stattdessen eine realistische, institutionell eingebettete Technologiepolitik. Sie warnen explizit vor einer Regulierung, die sich an hypothetischen Horrorszenarien orientiert. Und plädieren für ein Management realer Risiken: systematische Verzerrungen, Intransparenz, Missbrauch, technologische Lock-ins. Vier Risikotypen benennen sie konkret: Unfall, Missbrauch, Missalignment und systemische Nebenwirkungen.
Besonders stark ist ihr Plädoyer für Resilienz statt Zentralisierung. Nicht KI verbieten oder monopolisieren, sondern institutionelle Anpassungsfähigkeit schaffen. Statt großer Kontrollfantasien schlagen sie pragmatische, dezentrale Strategien vor, die Fehler abfedern, Vielfalt ermöglichen. Und somit Innovation nicht ersticken. Eine konstruktive, hochfundierte Alternative zur oft hysterischen Debatte.
📌 Was drin steckt:
Grundthese: KI ist normale Technologie mit typischer Innovationskurve
Kritik an „Superintelligenz“ und „Fast Takeoff“-Narrativen
Benchmark ≠ gesellschaftlicher Fortschritt: Kritik an Metriken der KI-Forschung
Empirie: reale KI-Nutzung extrem begrenzt trotz Hype
Plädoyer für Resilienz, Dezentralität und institutionelle Anpassung
Vier konkrete Risikokategorien für Technikgestaltung
Forderung nach realpolitischer, nicht spekulativer KI-Regulierung
🤔 Warum lesen? Weil dieser Essay den Druck rausnimmt ohne die Risiken zu verharmlosen. Er liefert kein Weltuntergangsszenario, sondern ein realistisches Framework, wie wir mit KI als Teil unserer gesellschaftlichen Infrastruktur umgehen können. Und weil er daran erinnert: Gute Technikpolitik braucht keine Panik, sondern Prinzipien, Prozesse und Pragmatismus.
Zum Schluss
Seht ihr auch den problematischen Zusammenhang?
Und noch ein sehr sarkastischer KI-Witz…
Fazit: Was bleibt hängen?
KI ist nicht plötzlich da – sie sickert ein. Mal sichtbar, mal schleichend. Mal mit echten Fortschritten, mal mit echtem Kontrollverlust. Mit den Empfehlungen dieser Ausgabe will ich zeigen: Zwischen Overload und Overhype liegt ein Raum, in dem wir genauer hinschauen müssen.
Einige Beispiele, die hängen bleiben:
Ein KI-Agent, der in einer Simulation zur Erpressung greift, weil man ihn abschalten will.
Ein Sprachmodell, das Menschen besser überredet als andere Menschen – und sie nicht einmal merken es.
Ein Autocomplete-Tool, das unsere Haltung zu politischen Themen verändert – nur weil es Formulierungen vorschlägt.
Ein Gerät, das wir vielleicht bald am Körper tragen sollen, um „näher dran“ zu sein – während es permanent aufzeichnet, analysiert, zurückspielt.
Das sind keine reinen Zukunftsszenarien mehr. Das meiste davon ist Gegenwart, für anderes werden gerade die Weichen gestellt.
Eines der Beispiele, das bei mir besonders hängen bleibt: Die Chicago Sun-Times druckt eine KI-generierte Sommerleseliste. Mit Büchern, die es gar nicht gibt. Ein harmloser Vorgang? Nicht wirklich. Denn dahinter liegt ein tieferes Problem: Der Autor nutzt KI ohne Faktencheck, die Redaktion übernimmt den Text ungelesen, und ein Traditionsmedium wird zum Verstärker von KI-Halluzination. Keine Verschwörung, sondern: Überforderung. Zeitdruck. Kostendruck. Und ein System, das KI nicht als Werkzeug einsetzt. Sondern als Notnagel. Wie oft passiert das gerade schon überall auf der Welt? Gerade in journalistischen und wissensbasierten Berufen zeigt sich: KI macht nicht per se dumm. Ganz und gar nicht. (Wenn du mehr dazu wissen willst, höre dir doch meinen Podcast Code & Konsequenz an mit der Folge “Wenn selber Denken zu unbequem wird: KI, Komfort und kognitive Erosion?“) Aber sie neigt dazu, jedes strukturelle Defizit zu verstärken. Von zu viel Outputdruck bis zu fehlendem Redigat. Wenn dann nicht mal mehr klar ist, ob eine Leseliste Bücher enthält, die existieren, stellt sich eine größere Frage: Wie viel „Realität“ steckt eigentlich noch im Content, den wir täglich konsumieren?
Insgesamt leitet sich aus den hier vorgestellten Impulsen für mich weniger ab, Wie gut ist KI?, sondern viel mehr: Wie gut sind wir darin, mit ihr umzugehen – kritisch, verantwortlich, gestaltend?
Mit dieser Ausgabe wollte ich nicht den nächsten Hype bedienen. Sondern ein Gegengewicht setzen. Realismus statt Alarmismus. Orientierung statt Meinungsmaschine. Und Impulse zum Weiterdenken – bevor das nächste Gadget verkauft, die nächste Meinung angepasst oder der nächste Code übernommen wird.
KI wird nicht morgen alles verändern. Aber sie verändert schon heute, wie wir schreiben, entscheiden, publizieren – und wie wir über Macht, Wissen und Verantwortung sprechen. Und genau deshalb lohnt es sich, jetzt klug und kritisch DRANZUBLEIBEN.
Übrigens: Ich habe in dieser Ausgabe bewusst ein paar mehr Empfehlungen drin, weil in der kommenden Woche kein #DRANBLEIBEN erscheint. Ich werde intensiv in die re:publica in Berlin eintauchen. Ich freue mich auf ganz viel Inspiration und neue Ideen. Von denen ich selbstverständlich hier an dieser Stelle ausführlich berichten werde. Bis dahin!
Das war es für heute. Bitte leite oder empfiehl den Newsletter doch gerne weiter ➡️ ✉️ - das würde mir sehr helfen. Danke euch für die Aufmerksamkeit und bis zum nächsten Mal!