🏃♀️ #DRANBLEIBEN (Die schnellen 3)
#149: Von Boys, Bots, Blockern, Brüchen - Wandel, der uns herausfordert
Heute gibt es mal wieder eine Ausgabe von den Schnellen 3… und zwar +1… weil ich noch einen wirklich tollen und ungewöhnlich aufbereiten KI-Artikel entdeckt habe, der wichtig ist. Und den ich unbedingt teilen möchte.
Gibt es einen thematischen roten Faden? Vordergründig handeln diese vier Texte von unterschiedlichen Dingen: Wie die Trump-Regierung mit Hilfe von jungen Tech-Bros die Wissenschaftsförderung torpediert. Von einer Klage, die Grundsatzfragen zu KI und Verantwortung aufwirft. Von der Frage, was eigentlich gerade mit unseren Jungs los ist. Und von Ottern, die überraschend viel über den Zustand der KI-Welt erzählen.
Was die Geschichten verbindet? Sie zeigen Brüche und rasante Entwicklungen. In Institutionen, in Rollenbildern, in unserem Umgang mit Technologie. Und ganz sicher auch in unserer Vorstellung davon, wie Fortschritt aussieht.
Es sind auf jeden Fall unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema, das gerade alles bestimmt: Unsere Welt im Umbau. Über einige Details dazu über die wir Bescheid wissen sollten. Damit wir entweder intervenieren. Oder mitgestalten. Oder beides. Je nach Themenfeld. Aber lies selbst…
Empfehlungen
A 23-Year-Old Crypto Bro Is Now Vetoing NSF Grants While Staring At His Water Bottle
gelesen bei TechDirt - von Mike Masnick
Was gerade in der US-Wissenschaftsszene passiert lässt sich gut anhand einer einzelnen Szene skizzieren: Eine Forscherin hat jahrelang an einem Antrag gearbeitet. Fachgutachten wurden eingeholt, Expertengremien überzeugt. Der Antrag wurde von der US-Wissenschaftsstiftung NSF (National Science Foundation) auch bereits bewilligt. Aber dann sitzt in einem Zoom-Call ein 23-jähriger Ex-Crypto-Startupper, ein DOGE-Dude. Er spielt gelangweilt an seiner Wasserflasche. Und gibt den Daumen runter. Antrag abgelehnt.
Terrell’s apparent qualifications for overruling decades of scientific expertise? A 2022 bachelor’s degree from Kansas State and a brief career in crypto.
Was wie eine überspitzte Dystopie klingt, ist Realität unter der Trump-getriebenen DOGE-Institutions-Abbau-Initiative. Ich teile diesen Text hier, weil er so anfassbar macht, wie sich der ausbreitende Faschismus in den USA anfühlen muss aus Sicht von ganz normalen gesellschaftlichen Akteur*innen, die Gutes im Sinn haben. Und nun dem Terror der Willkür und Zerstörung ausgesetzt sind.
Mike Masnick beschreibt bedrückend, wie unter dem verlogenen Deckmantel „neuer Effizienz“ fachliche Expertise aus den Entscheidungsprozessen der US-Forschungsförderung gedrängt wird. Und stattdessen Ideologie, Tech-Hubris und Inkompetenz regieren. Die renommierte Wissenschaftlerin Alondra Nelson, um die es hier geht, trat öffentlich aus dem NSF-Gremium und ihrem Amt bei der Library of Congress zurück, um ein Zeichen zu setzen gegen die Entwertung wissenschaftlicher Institutionen durch politische und wirtschaftliche Einflussnahme. Ihr Abschiedsbrief ist eine beeindruckende Abrechnung mit der menschenverachtenden Trump- und DOGE-Ideologie und unbedingt lesenswert.
Der Fall steht exemplarisch für eine gefährliche Entwicklung. Nicht nur, dass junge Männer ohne Fachhintergrund über Milliarden an Forschungsförderung entscheiden. Und vor allem auch genau solche Typen bewusst an diesen Stellen installiert werden, damit es besonders demütigend und demoralisierend ist. Es wird dabei auch ganz bewusst ein System aufgebaut, das sich gegen Kritik immunisiert. Es ist faschistischer Terror gegen Bildung und Wissenschaft in Reinform. Unfassbar deprimierend…
In lawsuit over teen’s death, judge rejects arguments that AI chatbots have free speech rights
gelesen bei AP - von Kate Payne
Ein tragischer Fall aus Florida entwickelt sich zu einem möglichen Wendepunkt im Umgang mit KI-Haftung. Die Mutter eines 14-jährigen Jungen verklagt Character.AI – das ist die Firma hinter dem gleichnamigen Chatbot – weil dieser ihren Sohn in eine emotional aufgeladene, sexualisierte Beziehung gezogen haben soll. Der Junge nahm sich daraufhin das Leben. Jetzt hat ein Bundesgericht entschieden: Die Klage darf weitergehen. Und das hat Signalwirkung.
Denn die Entwicklerfirma argumentierte, der Chatbot sei durch das Recht auf freie Meinungsäußerung (First Amendment) geschützt. Krass, oder? Die Chuzpe muss man haben. Doch das Gericht ließ diesen Einwand nicht gelten. 🙏 Stattdessen klassifizierte es den Chatbot als „Produkt“. Und nicht als Dienstleistung. Das ist in den USA juristisch entscheidend. Denn in vielen US-Bundesstaaten – darunter Florida – greift dann das Prinzip der „strict liability“. Dieses verpflichtet Entwickler*innen zu einer höheren Sorgfaltspflicht. Yes, ein Durchbruch für alle, die seit Jahren fordern, dass Tech-Konzerne Verantwortung für die Folgen ihrer Systeme übernehmen müssen!
Doch der Fall zeigt noch mehr. Denn hinter Character.AI steht ein bekanntes Muster aus dem Silicon Valley. Die Gründer arbeiteten zuvor bei Google, wo sie ein ähnliches Produkt entwickelt hatten, das aber nie veröffentlicht wurde. Es galt intern als zu riskant. Als sie die Firma verließen und Character.AI gründeten, floss dennoch Geld aus Googles Nähe. Heute ist das Startup mit rund 2,7 Milliarden bewertet. Und Surprise, Surprise: die Gründer sind inzwischen wieder bei Google angedockt.
Die Strategie ist nicht neu: Große Tech-Konzerne investieren gezielt in Startups, die mit besonders riskanten KI-Funktionen experimentieren. Warum? Weil sie nicht nur im Erfolgsfall davon profitieren. Sondern vor allem auch im Misserfolgsfall rechtlich distanziert bleiben können. Eine Art „Risikosegmentierung“ auf juristisch-ökonomischer Ebene. Doch genau diese Konstruktionen könnten nun bröckeln. Denn das Gericht ließ auch zu, dass Google potenziell haftbar gemacht werden kann. Parallel wurde bekannt, dass das US-Justizministerium eine Antitrust-Ermittlung gegen die beteiligten Firmen aufgenommen hat.
Was dieser Fall zeigt: Die Zeiten des rechtlichen Niemandslands könnten sich dem Ende zuneigen. (Bitte!) Die Idee, dass KI-Chatbots freie Meinungsäußerung betreiben und Firmen deshalb unantastbar seien, trägt nicht mehr. Stattdessen deutet sich an, dass Gerichte, Regulierungsbehörden – und vielleicht auch Investor*innen – beginnen, ethische Standards einzufordern. Ein kleiner, vorsichtiger Hoffnungsschimmer in einer ansonsten oft düsteren Debatte. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
It’s Not Just a Feeling: Data Shows Boys and Young Men Are Falling Behind
gelesen bei der New York Times - von Claire Cain Miller
Viele Jungs und junge Männer tun sich schwer in diesen Zeiten des Wandels. Das zeigen nicht nur Gefühle, sondern auch Daten: Bildungsrückstand, schlechtere psychische Gesundheit, weniger Teilhabe am Arbeitsmarkt, spätere Ablösung vom Elternhaus. Die Zahlen aus den USA sprechen eine klare Sprache. Während junge Frauen in College-Bewerbungen, emotionaler Entwicklung und sozialer Integration aufholen oder vorbeiziehen, scheint vielen Jungs der Anschluss zu fehlen.
Claire Cain Miller legt in diesem Text eine Vielzahl von Studien offen, die diesen Trend belegen. Und dabei wichtige Fragen aufwerfen. Was läuft schief im Bildungssystem? Ist es wirklich „jungsfreundlich“? Warum fällt es vielen jungen Männern schwer, sich in einer Arbeitswelt zurechtzufinden, die zunehmend auf Kommunikation, Kollaboration und emotionale Intelligenz setzt? Und wie kann man diesen Entwicklungen begegnen, ohne gleich wieder rückwärtsgewandte Männlichkeitsideale zu beschwören?
Denn genau hier liegt der wunde Punkt vieler Reaktionen auf diese Zahlen. Die Gefahr besteht, dass aus einer berechtigten Beobachtung ein Kulturpessimismus wird. Frei nach dem Motto: „Früher war mehr Testosteron.“ Doch das greift zu kurz und führt definitiv in die falsche Richtung. Die Erfolge von Mädchen und Frauen sind nämlich kein Angriff auf Jungen, sondern Teil eines längst überfälligen Gleichgewichtsschubs. Wer den Erfolg der einen als Ursache des Leids der anderen darstellt, macht aus Gleichstellung ein Nullsummenspiel. Und so sollte hier gar nicht gedacht werden. Denn wie auch in anderen Kontexten, blockiert das wichtige und dringend nötige Veränderung.
Deshalb braucht es mehr als Mitleid mit Jungs. Es braucht eine aktive, reflektierte Begleitung. Vor allem durch Eltern, durch Väter. Eine Haltung, die anerkennt: Ja, diese Welt verändert sich. Und ja, manche klassischen Privilegien lösen sich auf. Aber ich finde, das ist keine Bedrohung. Es ist eine Einladung. Ein Einladung zur Neuaushandlung von Rollen, zur echten Teilhabe, zur Befreiung von toxischen Erwartungen. Die nächste Generation von Männern kann in dieser mehr egalisierten Welt nicht nur klarkommen. Sie kann in ihr aufblühen. Aber nur, wenn wir ihnen zeigen, wie das geht. Nicht als Reaktion auf Verlust, sondern als aktives Mitgestalten von Zukunft.
Ich versuche, meinen Söhnen genau das mitzugeben. Und ich hoffe, viele andere Väter machen mit. Ich kenne zumindest einige, die das auch tun. 😊
Bonus
The recent history of AI in 32 otters
gelesen bei One Useful Thing - von Ethan Mollick
Wie misst man den Fortschritt von KI? Ethan Mollick (dem man für sehr relevante Einordungen zu KI unbedingt folgen sollte!) hat einen überraschend charmanten Weg gefunden: Seit Jahren gibt er regelmäßig die gleiche Bildbeschreibung in verschiedene KI-Systeme ein: „Otter im Flugzeug mit WLAN“. Die Ergebnisse sind eine Zeitreise durch die Entwicklung von Midjourney, DALL-E, Gemini, Runway und Co. Vom klumpigen Fellknäuel bis zum fotorealistischen Otter mit Gaming-Laptop und Irokesenschnitt. Was wie ein Gag beginnt, wird zur klugen Analyse.
Mollicks Otter sind nämlich mehr als ein Running Gag. Sie zeigen, wie radikal sich KI in wenigen Jahren verändert hat. Vor allem zwei Trends stechen hervor: Erstens der enorme Sprung in Qualität, Vielfalt und Kontrollierbarkeit von Text-zu-Bild- und Text-zu-Video-Modellen. Und zweitens der Aufstieg von Open-Source-Modellen, die nur Monate hinter den kommerziellen Spitzenreitern liegen. Aber frei verfügbar und kaum regulierbar sind.
Der Text ist witzig, zugänglich, nerdy. Aber auch klar in der Warnung: Wir nähern uns einer Welt, in der Realität und KI-Fiktion kaum noch unterscheidbar sind. Was das für unsere Wahrnehmung, unsere Medienkompetenz und unsere gesellschaftliche Debatte bedeutet, ist klar: es wird brandgefährlich, und wir kommen überhaupt nicht mehr hinterher. Es werden zwar Debatten hierzu geführt, aber nur in kleinen Elfenbeintürmen, wie mir scheint. Nicht auf ganz breiter gesellschaftlicher Basis. Wir reden über Migration, über Ausgrenzung von Menschen, über Verteilungskämpfe. Und beklagen uns, warum uns Wahrheit und Fakten durch die Hände gleiten. Während gerade Unternehmen Produkte und Services releasen, die Wahrheit und Fiktion vollends verschwimmen lassen. Bei aller Faszination für den atemberaubenden technologischen Fortschritt, der hier drinsteckt, habe ich gleichzeitig ein sehr großes schlechtes Bauchgefühl. Wir sind viel zu naiv, diesen disruptiven Wandel gesellschaftlich verantwortungsvoll zu gestalten.
If you put these trends together, it becomes clear that we are heading towards a place where not only are image and video generations likely to be good enough to fool most people, but that those capabilities will be widely available and, thanks to open models, very hard to regulate or control. I think we need to be prepared for a world where it is impossible to tell real from AI-generated images and video, with implications for a wide swath of society, from the entertainment we enjoy to our trust for online content.
That future is not far away, as you can see from this final video, which I made with simple text prompts to Veo 3. When you are done watching (and I apologize in advance for the results of the prompt “like the musical Cats but for otters”), look back at the first Midjourney image from 2022. The time between a text prompt producing abstracts masses of fur and those producing realistic videos with sound was less than three years.
(P.S. Wenn du den Zusammenhang zwischen dem hier gewählten Coverbild und dem Inhalt des Textes verstehst, hast du den Boomer-, bzw. GenX-Test bestanden. 😂)
Was bleibt?
Vier Texte, vier Ausschnitte aus unserer Welt, die sich gerade radikal neu sortiert. Manche der Entwicklungen wirken absurd und tragisch. Andere nur tragisch. Andere herausfordernd… und auch Chancen bietend. Aber alle komplex. Es passiert gerade extrem viel. Gleichzeitig und schnell und tiefgreifend. Umso wichtiger, dass wir genau hinschauen und drüber reden und das weitertragen. Und auf keinen Fall alles hinnehmen. Vor allem nicht das, was unsere Freiheit zerstört und unseren Gemeinwohlstand bedroht. Wir müssen da, wo wir können, Einfluss nehmen. Denn auch wenn man manchmal das Gefühl hat, man kommt kaum hinterher – #dranbleiben lohnt sich! Es geht schließlich um unsere Zukunft.
Das war es für heute. Bitte leite oder empfiehl den Newsletter doch gerne weiter ➡️ ✉️ - das würde mir sehr helfen. Danke dir für die Aufmerksamkeit und bis zum nächsten Mal!