๐โโ๏ธ #DRANBLEIBEN (Die schnellen 3)
#154: Sauber / Clever / Kosmisch - Sonne auf Abruf, Rechenpower aus der Schublade, Klarheit im All
Du liest #DRANBLEIBEN - Einordnungen zu Tech und Gesellschaft, von Andrรฉ Cramer. Ich bin Berater, Speaker und Podcast-Host von DRANBLEIBEN - Gesprรคche รผber unsere Zukunftsoptionen und Code & Konsequenz - Tech-Industrie Reflexionen. Find me on LinkedIn!
Wenn man sich wie ich beruflich viel mit Tech, Gesellschaft und Systemfragen beschรคftigt, kommt man an den dunklen Seiten selten vorbei. Machtkonzentration, รberwachung, Umweltkosten, digitale Ungleichheitโฆ. all das gehรถrt dazu. Und wird auch weiterhin Thema bleiben.
Aber manchmal muss man auch einfach sagen: โCool. Das ist aber richtig gut.โ
Diese Ausgabe ist so ein Fall. Drei Themen, die auf ganz unterschiedliche Weise zeigen, was technologischer Fortschritt heute bedeuten kann:
Ich habe keine reinen โdrei Artikelโ, sondern drei Themenfelder, die sich lohnen:
Solarstrom rund um die Uhr? Gibtโs. Gรผnstiger als Kohle. รber Chinas Solarboom, der nicht aus Idealismus entsteht, sondern aus strategischer Wuchtโฆ und mit enormem inlรคndischen und globalen Effekt.
Alte Smartphones, die Meereslebewesen zรคhlen und Buslinien smarter machen? Kein Witz. Es geht um smartes Recycling, das ausgediente Technik in nรผtzliche Infrastruktur verwandeltโฆ praktisch, nachhaltig, zirkulรคr gedacht.
Ein Teleskop, das 20 Milliarden Galaxien scannt und uns vielleicht vor dem nรคchsten Asteroiden warnt? Lรคuft. Und ist eine Geschichte die strotzt vor purer Wissenschaftsfaszination.
Hier habe ich also ein kleines Gegengewicht zur Dauerkrise. Kein naiver Techno-Optimismus (das wirdโs hier auch nie gebenโฆ), sondern: konkrete, skalierbare, ziemlich gute Nachrichten.
Los gehtโs.
Thema 1: Der krasse Solarboom
Solar electricity every hour of every day is here and it changes everything
Report von Ember, Energy Think Tank
Rund-um-die-Uhr-Sonnenstrom ist daโฆ und verรคndert alles
Solarstrom war lange ein Versprechen fรผr sonnige Stunden. Jetzt wird er zur 24/7-Ressource, dank spektakulรคr gefallener Batteriepreise und smarter Speicherintegration. Der neue Bericht des Think Tanks Ember zeigt: In Regionen mit viel Sonne ist Solarstrom rund um die Uhr technisch und wirtschaftlich mรถglich. Und: Er ist billiger als Kohle und Atom.
24/365 Solar โ was bedeutet das?
Mit der richtigen Kombination aus Solarmodulen und Batteriespeichern lassen sich 97โฏ% aller Stunden im Jahr mit Solarstrom abdecken. Und das zuverlรคssig, sauber und kosteneffizient. In Las Vegas genรผgt etwa eine Anlage mit 5โฏkW Solarleistung und 17โฏkWh Speicher, um 1โฏkW Dauerstrom รผber 24 Stunden zu liefern. Der Clou: Das kostet nur 104โฏ$/MWh, also weniger als Kohle (118โฏ$/MWh) oder Atom (182โฏ$/MWh).
Was daran so revolutionรคr ist
Solar hรถrt nicht mehr bei Sonnenuntergang auf.
Industrien wie Rechenzentren oder Fertigung kรถnnen autark betrieben werden, sogar in Regionen mit schwacher Netzinfrastruktur.
Der Speicher entkoppelt Produktion und Verbrauch, was teure Netzausbauten ersetzt oder zumindest stark entlastet.
In der Sahara, in der Atacama-Wรผste oder in Kalifornien wird damit ein Szenario greifbar: Industrialisierung ohne fossile Abhรคngigkeit.
Und wie siehtโs mit der Realitรคt aus?
China sprengt derzeit alle Skalen: Im Mai 2025 wurden 93 Gigawatt Solarkapazitรคt in nur einem Monat installiert. Mehr als jedes andere Land im gesamten Jahr 2024. Der Haken: Der Boom wurde auch durch auslaufende Subventionen und regulatorische รnderungen getrieben. Analyst*innen warnen bereits vor einem Einbruch ab Mitte diesen Jahres. Die Industrie kรคmpft mit รberkapazitรคten, sinkenden Preisen, Margendruck und Finanznรถten.
Was bleibt? Der Boom ist real, aber er ist nicht gleichbedeutend mit Stabilitรคt. Der Umbau des Energiesystems bleibt ein komplexer Balanceakt zwischen Technologie, Mรคrkten und Politik. Doch dass Solar mit Speicher technisch gereift und wirtschaftlich konkurrenzfรคhig ist, steht fest.
โ24-Stunden-Solar ist kein ferner Traum mehr, sondern รถkonomische Realitรคt.โ
โ Kostantsa Rangelova, Ember
Mehr lesen:
China Solar and Wind Installations Break More World Records (gelesen bei Ecowatch - von Page Bennett)
China installiert 93 Gigawatt Solarkapazitรคt in nur einem Monat (gelesen bei WinFuture)
Thema 2: Aus alt mach neu und wertvoll - Wie alte Smartphones als Mini-Rechenzentren Smart Cities antreiben und die Meere schรผtzen
Fast 200 Millionen alte Handys liegen allein in deutschen Schubladen. Weltweit entstehen jรคhrlich รผber 1,2 Milliarden neue Smartphones. Ebenso gigantische Mengen an Elektroschrott. Doch ein Forschungsteam aus Estland zeigt: Was wir als Mรผll betrachten, kรถnnte der Stoff fรผr eine nachhaltigere digitale Zukunft sein.
An der Universitรคt Tartu entwickelt ein internationales Team ein radikal einfaches, aber wirkungsvolles Konzept: Ausrangierte Smartphones werden fรผr nur 8 Euro pro Gerรคt zu lokalen Mini-Rechenzentren umgebaut. Statt wie รผblich in Hochsicherheitszentren in der Cloud, werden Daten so vor Ort verarbeitet. Etwa an Bushaltestellen, in Parks oder unter Wasser. Das spart nicht nur Energie fรผr Datenรผbertragungen, sondern erรถffnet neue, nachhaltige Anwendungen im Bereich des Edge Computings.
Wie funktioniert das?
Die Forschenden entfernen die Akkus der Altgerรคte โ ein Sicherheitsrisiko weniger โ und schlieรen sie an eine externe Stromversorgung an.
Vier Handys werden in ein 3D-gedrucktes Gehรคuse gesetzt, das als Mikro-Rechenzentrum dient.
Die Software wird angepasst, um Daten direkt verarbeiten und weiterleiten zu kรถnnen, zum Beispiel fรผr Sensoren oder Kameras.
Wofรผr man das nutzen kann
๐ Im Meeresschutz:
Ein erster Feldversuch fand unter Wasser statt. Dort identifizierte der Prototyp automatisch Meereslebewesen anhand von Videodaten. Eine Aufgabe, die sonst Taucher*innen รผbernehmen mรผssten, mit aufwendiger Auswertung an Land.
๐ Im รถffentlichen Raum:
An Bushaltestellen zรคhlen die Gerรคte Passant*innen und helfen, den Nahverkehr zu optimieren. Und das datenschutzfreundlich: Die Systeme arbeiten lokal, ohne permanente Verbindung zur Cloud.
๐ In der Industrie & im Alltag:
Kรผnftige Anwendungen kรถnnten vom smarten Spielzeug bis zum solarbetriebenen Wetterhรคuschen reichen. Selbst in autonomen Fahrzeugen oder unterseeischen Drohnen sind Szenarien denkbar.
Warum das mehr ist als nur ein Nerd-Projekt
Die Mikro-Rechenzentren bieten:
eine echte Alternative zur energieintensiven Cloud
einen konkreten Beitrag zur Kreislaufwirtschaft
eine smarte Form digitaler Infrastruktur fรผr Regionen ohne groรe Rechenzentren
Natรผrlich ist das kein Ersatz fรผr High-Performance-Computing. Aber es ist ein sinnvoller Ansatz fรผr zeitunkritische, ressourcenschonende Aufgaben. Und es zeigt: Nachhaltige IT beginnt nicht erst bei der Software, sondern bei der Frage, wie wir mit alter Hardware umgehen.
Mehr lesen:
Das 8-Euro-Rechenzentrum: Wie Elektroschrott jetzt Smart Cities antreibt und die Ozeane schรผtzt - gelesen bei t3n - von Dieter Petereit
Supporting Sustainable Computing by Repurposing E-Waste Smartphones as Tiny Data Centers - die Originalstudie bei ResearchGate - von Perseverance Ngoy, Farooq Dar, Mohan Liyanage, Zhigang Yin, Ulrich Norbisrath und Agustin Zuniga
Thema 3: Der Weltraumโฆ unendliche Weiten
Vera C. Rubin Observatory: All-seeing eye
gelesen im Science Magazine - von Daniel Clery
Wie das Vera C. Rubin Observatory das Universum neu vermisstโฆ und uns vielleicht sogar rettet
In einer Nacht 10 Millionen neue Himmelsphรคnomene erkennen. 20 Terabyte Daten. Pro Nacht. 20 Milliarden Galaxien, Asteroiden und Supernovae kartieren.
Klingt nach Science-Fiction, ist aber Realitรคt: Das Vera C. Rubin Observatory in Chile nimmt noch dieses Jahr seinen Dauerbetrieb auf und kรถnnte unser Bild vom Universum fรผr immer verรคndern.
Was macht Rubin so besonders?
Rubin ist kein Teleskop wie andere. Es beobachtet nicht einzelne Objekte, sondern scannt alle 3โ4 Nรคchte den gesamten Sรผdhimmel. Und erstellt so ein bewegtes Zeitraffer-Portrรคt des Kosmos. Seine Kamera ist mit 3.200 Megapixeln (das entspricht ca. 40.000 Handy-Kameras) die grรถรte Digitalkamera der Welt. Und sie liefert alle 30 Sekunden ein neues Bild.
Der Clou: Ein automatisiertes Alarmsystem erkennt innerhalb von Sekunden alle Verรคnderungen am Himmel. Von explodierenden Sternen bis zu neu auftauchenden Asteroiden.
Was kann Rubin entdecken?
Dunkle Materie & Dunkle Energie: Aus der Verzerrung von Galaxieformen entsteht die bisher tiefste 3D-Karte des Universums.
Entwicklung der Milchstraรe: Rubin kartiert Milliarden alter Sterne im galaktischen Halo und bietet ermรถglicht damit einen Blick in unsere galaktische Herkunft.
Gold aus dem All: Bei der Kollision von Neutronensternen entstehen schwere Elemente wie Gold. Rubin kรถnnte die ersten Sekunden einer solchen Kilonova filmen.
Erde in Gefahr? Rubin wird ca. 90.000 neue erdnahe Asteroiden entdecken. Deutlich mehr als bisher bekannt.
Planet 9? Wenn es ihn gibtโฆ Rubin wird ihn finden. ๐
Already in action
In nur 10 Stunden Testlauf hat Rubin bereits 2.104 neue Asteroiden entdeckt. Darunter sieben, die der Erde vergleichsweise nah kommen. Keiner davon ist zum Glรผck gefรคhrlichโฆ. zumindest noch nicht.
Und dann ist da noch die Geschichte hinter dem Namen
Ursprรผnglich hieร das Projekt Large Synoptic Survey Telescope. Doch 2019 beschlossen zwei US-Kongressabgeordnete, es nach Dr. Vera Rubin zu benennen. Der Astronomin, die den Nachweis fรผr Dunkle Materie lieferte. Eine Frau, die gegen viele Widerstรคnde ankรคmpfte und der wir nun eine der kรผhnsten Himmelsvermessungen der Geschichte verdanken.
Der Artikel lohnt sich, denn es gibt viele tolle Visualisierungen und Deep-Dives in die sehr beeindruckenden Details.
Was bleibt?
Natรผrlich lรถsen diese drei Projekte, bzw. Entwicklungen nicht alle unsere Probleme. Aber einige doch, und darunter so ein wichtiges Thema wie Energiegewinnung. Und sie zeigen, dass konkrete Fortschritte mรถglich sind. Ganz unterschiedlich, aber jeweils mit beachtlicher Wirkung und Perspektive:
๐ Solarstrom rund um die Uhr ist kein Konzept mehr, sondern Realitรคt. Er bietet eine bezahlbare, skalierbare Antwort auf eines der grรถรten Probleme unserer Zeit: saubere, dauerhafte Energieversorgung โ und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt und fรผr viele.
๐ฑ Recycling smarter denken heiรt auch: die Mรถglichkeiten erkennen, die lรคngst da sind. In unseren Schubladen. In der Art, wie wir Infrastruktur verstehen. Dieses Projekt aus Estland steht exemplarisch fรผr all die Potenziale, die wir noch nicht heben, weil wir nicht hinsehen.
๐ญ Und dann gibt es noch das Teleskop auf einem Berg in Chile, das still und unermรผdlich den Himmel scannt. Und dabei mehr รผber unser Universum lernen will als je ein Instrument zuvor. In einer Zeit, in der Erkenntnisgewinn zunehmend gegen Ideologie verliert, ist das ein stilles, aber starkes Zeichen: Forschung zรคhlt. Neugier zรคhlt. Wissenschaft zรคhlt.
Mit dieser Ausgabe will ich genau daran erinnern. Dass es Menschen gibt, die sich nicht mit dem Status quo abfinden. Die alte Smartphones neu denken, den Himmel neu vermessen und die Sonne endlich richtig nutzen.
Und das sind doch ziemlich gute Nachrichten. Hoffentlich war was fรผr dich dabei. Bleibโ dran!
Das war es fรผr heute. Bitte leite oder empfiehl den Newsletter doch gerne weiter โก๏ธ โ๏ธ - das wรผrde mir sehr helfen. Danke dir fรผr die Aufmerksamkeit und bis zum nรคchsten Mal!